Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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24MAI2023
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Seit einigen Monaten arbeite ich als Klinikseelsorger im Krankenhaus. Das heißt: An jedem Arbeitstag erlebe ich Menschen in ihrem Umgang mit Krankheit und Krise – Patienten und auch ihre Angehörigen. Ich bin da immer noch am Anfang, viele Erfahrungen fehlen mir bis jetzt. Aber eine Beobachtung mache ich immer wieder:

Es gibt Menschen, die richten ihre Aufmerksamkeit in der Krankheit stark nach außen – und suchen dort nach Halt. Sie fragen zum Beispiel sehr entschieden nach Untersuchungsergebnissen und Diagnosen, möchten alles ganz genau wissen. Manchmal fragen sie auch noch bei anderen Experten nach, hören sich im Bekanntenkreis um, recherchieren im Internet.

Das alles kann ich gut verstehen. Es ist auch wichtig, in einer Krankheit gut Bescheid zu wissen. Aber manchmal bekomme ich den Eindruck: Man kann sich da auch verlieren, rastlos werden vor lauter Recherche: „Habe ich auch nichts übersehen? Gibt es irgendwo noch eine wichtige Info? Eine neue Behandlungsmethode …“ Ja keine Chance fürs weitere Leben übersehen zu wollen, das kann zermürbend sein. Denn das, was von außen auf einen zukommt, ändert sich ja ständig wieder.

Und dann erlebe ich Menschen, die strahlen in aller Unsicherheit doch Ruhe aus. Die scheinen zu wissen, wer sie selber sind, was sie wollen, was sie noch grundsätzlich klären möchten. Auch ihnen macht die Krankheit zu schaffen, klar, auch für sie ist das eine Krise. Aber das Geschehen um sie herum fügt sich sozusagen ein in ihr bisheriges Leben, und sie gehen ihren persönlichen Weg mutig weiter.

Mich beeindruckt das. Und wenn ich solchen Menschen begegne, bringt mich das als Seelsorger auch selbst weiter. Ich spüre da Kraft von innen. Über die kommen wir oft auch ins Gespräch – und über die persönliche Lebenshaltung, den Glauben, die Zweifel. Und all das hat tiefe Bedeutung.

Zu sich selbst finden, zur eigenen Mitte, auch zu Gott – manchen Menschen gelingt das tatsächlich mitten in der Krankheit. Die kann ja ein Anlass sein, wichtige Dinge endlich anzugehen. Aber womöglich geht es ja auch vorher schon, ganz ohne äußere Krise. Ich will immer wieder fragen, was mir im Leben wichtig ist, wo ich hinwill. Dann bin ich besser vorbereitet, wenn sich Dinge um mich herum ändern. Und ich habe Kraft dafür.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=37686
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