SWR4 Sonntagsgedanken

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21MAI2023
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Die Bibel ist manchmal wirklich witzig. Im ersten Teil, dem Ersten Testament wird unter anderem die Lebensgeschichte eines Propheten namens Samuel erzählt. Seine Geschichte mit Gott fängt mit viel Situationskomik an.

Samuel wächst im Tempel bei seinem Lehrmeister auf; der heißt Eli. Beide schlafen und Samuel hört eine Stimme: „Samuel!“ Und Samuel geht zu Eli und sagt: Da bin ich. Eli antwortet: ich hab Dich nicht gerufen, geh schlafen.“ Samuel legt sich hin und hört eine Stimme: „Samuel!“ Und Samuel geht wieder zu Eli und sagt: Da bin ich. Und Eli antwortet: ich hab Dich nicht gerufen, geh schlafen.“ Und Samuel hört zum dritten Mal eine Stimme: „Samuel!“ Und Samuel geht nochmal zu Eli und sagt: Da bin ich. Und jetzt versteht Eli: Gott ruft Samuel. Und beim vierten Mal Rufen sagt Samuel wieder „Da bin ich.“ Aber er sagt es nicht zu Eli, sondern zu seinem Gott.

Wenn ich mir diese Szene vorstelle, finde ich sie schon humorvoll Gott ruft und Samuel geht ins Schlafgemach seines Lehrmeisters.  Ich stelle mir vor, wie Eli völlig verschlafen in seinen Bart nuschelt: „Ich hab Dich nicht gerufen!“ Samuel macht auf dem Absatz kehrt, zuckt die Schultern, fragt sich nicht weiter, was eigentlich los ist. Und das macht die Komik dieser Szene perfekt: Gottes oberster Priester und sein  Schüler verpassen Gott; und zwar gleich dreimal.

Normalerweise sagen Menschen zu mir: Wissen Sie, Herr Pfarrer: Ich warte auf ein Zeichen von Gott. In dieser Geschichte ist es humorvoll andersherum: Hier wartet Gott auf eine Reaktion von den Menschen. Versetzen Sie sich mal gedanklich in Gottes Position. Sie schweben über den Dingen und sehen Samuel. Sie rufen unsichtbar seinen Namen. Und Samuel? Der marschiert schnurstracks zu Eli ins Zimmer. Kein Blick nach oben – er schaut stur geradeaus – mit Gott rechnet er gar nicht. Dann sehen Sie Eli! Ah, gut, der kennt Sie, er ist ja verantwortlich für den Tempel. Und was macht der? Schickt seinen Schüler wieder ins Bett und kommt ebenfalls nicht auf die Idee, dass Gott seine Finger im Spiel haben könnte. Sie als Gott würden sich wahrscheinlich am Kopf kratzen.

Ich weiß, es ist eigentlich unmöglich sich vorzustellen wie es wäre, Gott höchstpersönlich zu sein.  Aber hier finde ich es wirklich mal einen Augenöffner. Gott wartet auf die Menschen. Das ist mal wirklich eine Entdeckung. Ich höre oft – gerade auch von Teenagern – Gott überzeuge sie nicht. Der tut nix, sagen sie. Diese Geschichte zeigt mir: Aus Gottes Perspektive ist das andersrum auch so. Menschen überzeugen nicht. Sie tun nix.

Streng genommen tut Samuel natürlich nicht nichts. Er hört ja durchaus eine Stimme. Sonst würde er nicht zu seinem Lehrer gehen. Aber er orientiert sich eben nicht hin zu Gott, sondern bleibt ganz auf der Erde. Und auch der Priester Eli, der quasi mit Gott unter einem Dach wohnt, geht nicht davon aus, dass Gott ihn ruft.

Mir macht die Geschichte von Gott, der ruft und ruft, Hoffnung. Ich will gar nicht alle Krisen aufzählen, in denen wir leben. Aber manchmal – und das ist nicht mehr humorvoll – kommt mir die Welt vor als wäre sie voller Samuels und Elis. Gott ruft: Lasst die Kriege sein, lasst das Austrocknen von Flüssen sein, lasst Euren Müll sein! Und wir Menschen hören das auch irgendwie, aber irgendeiner sagt dann schon halb verschlafen: Ich hab Dich nicht gerufen, leg Dich wieder hin!

Hoffnung wächst für mich aus der Tatsache, dass Gott bei Samuel und Eli nicht locker lässt und es am Ende klappt. Dass Samuel sagt: Da bin ich! Wie schön wäre das, wenn das auch in unserer Zeit so wäre. Dass mal alle Menschen sagen: Da bin ich, Gott! Ich habe Dich gehört. Jetzt geht’s in Deinem Sinne weiter. Keine Kriege, ressourcenschonender Umgang mit der Schöpfung, ein achtsamer Umgang miteinander, weil wir Menschen gelernt haben, wirklich hinzuhören.

Das finden Sie unrealistisch? Das mag schon sein. Aber heute – am Sonntag zwischen Himmelfahrt und Pfingsten – darf ich träumen und darauf warten, dass mein Traum Realität wird. Denn heute ist der Wartesonntag. Eli und Samuel warten im Tempel auf Gott. Gott wartet aber auch auf Eli und Samuel. Ich warte auf Gottes Nähe und Gott wartet auf meine Nähe. Er wartet auf jeden einzelnen Menschen – auf Sie, auf Dich und auf mich – und lässt dabei nicht locker.

Dass Gott wartet, halte ich jedenfalls nicht für unrealistisch. Und das macht für mich das Träumen am Wartesonntag auch so hoffnungsfroh. Weil es eines Tages so sein wird, dass es die ganze Welt wie Samuel macht; nach oben schaut und ruft: „Da bin ich!“

Ich wünsche Ihnen einen gesegneten Sonntag und eine gute Woche!

https://www.kirche-im-swr.de/?m=37657
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