SWR1 Anstöße sonn- und feiertags

SWR1 Anstöße sonn- und feiertags

18MAI2023
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Es war „am Tage einer Himmelfahrt“. So der Schriftsteller Paul Celan im Jahr 1960, wenige Tage nach Christi Himmelfahrt. Er schreibt es in einem Gedicht[1], das er seiner Kollegin Nelly Sachs widmet. Beide stammen aus Czernowitz im ostjüdischen Galizien, der heutigen Ukraine. Begegnet sind sich die beiden dort aber nie. Nach der richtigen Gelegenheit suchen sie lange. Er und Nelly Sachs treffen sich schließlich 1960 an besagtem Himmelfahrtstag in Zürich, um tags darauf weiter nach Deutschland zu reisen. Das Land, dessen Boden sie nicht mehr betreten wollten, weil es ihr Volk beinahe ausgelöscht hatte. Nelly Sachs und Paul Celan sind Juden und Schriftsteller. Beide haben den Holocaust überlebt und sollen nun mit Preisen in Deutschland geehrt werden. Für ihren Mut, nach Auschwitz wieder eine Sprache zu finden, überhaupt etwas zu schreiben, zumal auf Deutsch. Sie zögern lange, nehmen dann aber die Preise an. Allerdings unter der Bedingung, dass sie das Land am gleichen Tag wieder verlassen können. Über Nacht zu bleiben, in Ruhe Schlaf zu finden – das können sie sich nicht vorstellen.

Was sich zwischen den beiden abgespielt hat, und worüber die beiden Dichter sich ausgetauscht haben, kann ich mir gut vorstellen. Zumal sich Celan erneut Anfeindungen ausgesetzt sieht. Fünfzehn Jahre nach dem Ende der Nazi-Diktatur ist immer noch oder schon wieder Judenfeindschaft an der Tagesordnung. Celan gibt zu alledem in seinem Gedicht ein paar Hinweise. Dass es sich kaum in Worte fassen lässt, was in den Gaskammern geschehen ist, und sie vielleicht besser schweigen sollten. Dass Gottes Existenz auf dem Spiel steht, wenn er so etwas duldet. Dass gleichwohl die Sonne schien an jenem Himmelfahrts-Tag im Mai 1960. Und dass das so seltsam dem entgegensteht, was sich in ihnen abspielt, weil sie zweifeln und traurig sind, weil ihre Seele so sehr leidet.

Heute ist wieder Himmelfahrt. Der Tag, an dem Christen feiern, dass Jesus heimgekehrt ist zu Gott. Wer Christ ist, sieht darin auch das Ziel des eigenen Lebens. Des Lebens überhaupt. Die ganze Schöpfung Gottes soll einmal befreit werden von allem, was böse ist und dem Leben schadet. Wenn heute in Deutschland jüdische Menschen wieder bedroht werden, ist das eine ungeheure Schande. Und für Christen ein Signal, aufzustehen dagegen – um des Himmels willen.

 

[1]Zürich, Zum Storchen
Für Nelly Sachs
Vom Zuviel war die Rede, vom
Zuwenig. Von Du
und Aber-Du, von
der Trübung durch Helles, von
Jüdischem, von
deinem Gott.

Da-
von.
Am Tage einer Himmelfahrt, das
Münster stand drüben, es kam
mit einigem Gold übers Wasser.

Von deinem Gott war die Rede, ich sprach
gegen ihn, ich
liess das Herz, das ich hatte,
hoffen:
auf
sein höchstes, umröcheltes, sein
haderndes Wort –

Dein Aug sah mir zu, sah hinweg,
dein Mund
sprach sich dem Aug zu, ich hörte:

Wir
wissen ja nicht, weisst du,
wir
wissen ja nicht,
was
gilt.

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