Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

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29APR2023
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Vor einigen Jahren habe ich zwei Wochen auf einer schottischen Insel verbracht. Auf der Insel gibt es keine Straßenlaternen. Jeden Abend habe ich einen Spaziergang in der Dunkelheit gemacht. Meine Erfahrung: Je länger ich im Dunkeln gegangen bin, desto mehr habe ich gehört, gerochen, gefühlt und schließlich auch gesehen.

Ich habe Umrisse und andere Lichtquellen wie Katzenaugen, Glühwürmer, Bootslichter im Wasser, Sterne und Mondlicht im Himmel wahrgenommen. Und ich habe den Wind pfeifen gehört, die salzige Luft gerochen.
Nur wenn mir jemand mit einer Taschenlampe entgegenkam und mich anstrahlte, habe ich überhaupt nichts mehr gesehen. Zu grell war das Licht. Es hat alle anderen Schattierungen und Farbnuancen um mich herum verschluckt.

Ich habe die Spaziergänge im Dunklen genossen. Es waren intensive Momente. Kostbar, selten. Wann bin ich schon mal so bewusst in der Dunkelheit? Gerne möchte ich es öfter sein.
Trotzdem haben viele Menschen Angst vor der Dunkelheit. Nicht gut sehen können und die Angst vor Kriminalität begünstigen dieses Gefühl. Manche vermeiden es daher ganz, im Dunkeln aus dem Haus zu gehen. 

Das ist schade. Denn die Dunkelheit kann auch Schutz bedeuten. Schutz vor zu viel Sonne, Hitze und Licht. Schutz vor Überbelichtung, vor zu vielen Eindrücken und Bildern,
Dunkelheit kann bedeuten: Rückzug in eine Höhle, in eine Kirche oder an einen anderen Ort, an dem das Auge ruhen kann: Pause, Unterbrechung, Stille, Schlaf.
Ohne Dunkelheit werden Menschen genauso krank wie ohne Licht. Ohne Dunkelheit ist es schwieriger, sich zurückzuziehen und Hektik zu unterbrechen.

Ich wünsche Ihnen und mir, dass wir auch im Frühjahr wachsam bleiben für den Zauber der Dunkelheit.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=37503
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