Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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03APR2023
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Mitten im Dorf steht eine große Werkbank. Auf einem kleinen Stück Wiese vor einem Schuppen. Ein Hammer liegt drauf, ein Hobel und ein paar Werkzeuge. Daneben eine Tafel. Dort ist zu lesen: „Alle Armeen, die jemals marschiert sind, alle Parlamente, die jemals zusammengetreten sind, alle Könige, die jemals regiert haben, haben keinen so großen Einfluss auf die Menschen auf diesem Planeten ausgeübt, wie das Leben dieses Zimmermanns.“

Es geht um Jesus. Ich stehe an der ersten Station des Passionsweges in Grafenberg am Rande der Schwäbischen Alb. Auf einem Rundweg durch das Dorf kann man den letzten Tagen im Leben von Jesus nachgehen; 20 Stationen erzählen seine Geschichte.

Seit vielen Jahren laufe ich in der Karwoche auf diesem Weg. Die Geschichte von Jesus fasziniert mich immer wieder aufs Neue. Und das ist doch eigentlich verrückt. Denn ich weiß ja, wie sie ausgeht. Noch erstaunlicher ist: Sogar der griechische Philosoph Platon wusste das - obwohl der lange vor Jesus gelebt hatte. Platon hatte damals gefragt: „Wie wird es in unserer ungerechten Welt einem wahrhaft gerechten Menschen ergehen?“ Seine Prophezeiung lautete: „Man wird ihn aus der Stadt vertreiben, ihn blenden und ans Kreuz heften.“ Platon sollte recht behalten.

In Platons Formulierung steckt für mich der Grund, weshalb Menschen bis heute von Jesus fasziniert sind: Weil er radikal gerecht war; im Sinn von: Liebe und Gerechtigkeit stehen an erster Stelle. Ohne Kompromisse. Weil er immer auf der Seite derer stand, die unterdrückt oder ausgegrenzt wurden. Es hat ihn überhaupt nicht geschert, was andere über ihn gesagt haben.

In dieser Radikalität war Jesus sicher einzigartig. Und doch trifft Platons Prophezeiung in ähnlicher Weise bis heute zu: Ich denke zum Beispiel an Menschen wie Pablo Hernández aus Honduras. Der katholische Aktivist hat sich jahrelang für die Rechte Indigener eingesetzt und gegen die Umweltzerstörung gekämpft. Er wurde im vergangenen Jahr ermordet. Auch er war ein Hoffnungsträger, für eine andere, für eine bessere Welt.

Der Passionsweg in Grafenberg endet mit der Auferstehung und einem überlebensgroßen Jesus-Schriftzug. Durch den kann man hindurchblicken und es öffnet sich das Panorama der Schwäbischen Alb. Der Weitblick tut gut. Denn er lässt mich hoffen: Sich für den Nächsten und für Gerechtigkeit einzusetzen ist immer noch richtig, trotz allem, was schlimm ist. Und er lässt mich glauben, dass Auferstehung nicht einfach Rückkehr in alte Verhältnisse bedeutet. Es hat sich etwas verändert. Es gibt eine neue Perspektive.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=37392
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