SWR4 Abendgedanken

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15MRZ2023
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Artikel 1 unseres Grundgesetzes heißt: Die Würde des Menschen ist unantastbar. Das ist das Fundament unseres Grundgesetzes, ein Satz, der unser Zusammenleben prägt – oder prägen sollte? Einige Erfahrungen in der letzten Zeit lassen mich daran zweifeln.

Wie gehen wir in unserer vergleichsweise reichen Gesellschaft mit alten und kranken Menschen um? Aus eigener Betroffenheit kann ich erzählen, wie eine 88-Jährige vom Arzt abgefertigt wird: eine Operation in ihrem Alter lohnt sich nicht mehr! Auf dem Arztbericht steht aber: Patientin lehnte OP ab.

Eine Bekannte, auch weit über 80 Jahre alt, wird ins Krankenhaus eingewiesen von ihrer Ärztin. Krankenwagen und viel Aufregung, die Sorge, wie es weitergeht: nach fünf Stunden wird sie mit einem Taxi wieder nach Hause geschickt. Ohne etwas zu trinken zwischendurch, ohne etwas zu essen. Es gibt dringendere Fälle.

Zwei Mal habe ich erlebt, dass Angehörige alter Menschen nicht spontan im Krankenwagen oder in die Notaufnahme begleiten durften. Die Kranken werden in ihrem geschwächten, manchmal verwirrten Zustand einfach allein gelassen.

Um es ganz klar zu sagen: Die einzelnen Sanitäter und Krankenschwestern waren immer sehr herzlich und zugewandt, auch nachts um halb eins. Da haben sie meinen vollen Respekt und ich bin ihnen sehr dankbar. Mich entsetzt das System, die pure Profitberechnung auch im Gesundheitswesen.So sieht nämlich die Menschenwürde für alte Menschen in Deutschland aus!

Die Bibel nimmt dazu klar Stellung: »Du sollst Vater und  Mutter ehren.« Gemeint sind die gebrechlich gewordenen Eltern. Und da geht es nicht nur um die persönliche Verantwortung der Kinder, sondern auch um die Verantwortung der Gesellschaft für die alten Menschen.

 

Und um ihre Würde sorgen sich ja nicht nur alte und kranke Menschen.

Dies gilt auch für Menschen, die nicht in unser System passen, zum Beispiel weil sie ihre Wohnung nicht mehr bezahlen können. Sie gilt für Menschen, die nicht voll arbeitsfähig sind und deshalb schnell an den Rand der Gesellschaft gedrängt werden: keine Arbeit, wenig Geld, weniger Kontakte – welche Würde wird ihnen zugestanden?

Sie gilt ebenso für geflüchtete Menschen, die in unser Land gekommen sind. Welche Rechte haben sie? Wie behandeln wir sie?  Oft werden sie nicht als Schutzbedürftige wahrgenommen und behandelt, sondern als ungebetene Bittsteller.

In der Bibel heißt es: "Der Fremde, der sich bei euch aufhält, soll euch wie ein Einheimischer gelten und du sollst ihn lieben wie dich selbst.“ (Lev 19,33) Von diesem Denken scheinen wir weit entfernt zu sein.

Und wer nicht so bibelfest ist: ein Gebot kennen alle, die sich christlich nennen: Du sollst den Herrn, Deinen Gott lieben und du sollst Deinen Nächsten lieben wie Dich selbst – darin steckt die ganze frohe Botschaft und der ganze Auftrag.

Die Würde des Menschen ist unantastbar – sagt das Grundgesetz. Und für mich als Christin gilt auch: „Du sollst Deinen Nächsten lieben wie Dich selbst!“

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