Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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20FEB2023
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Ich war 10 Jahre alt als meine Eltern den ersten schwarz-weiß-Fernseher gekauft haben. Tagsüber sind damals keine Sendungen im Fernsehen gelaufen. Außer zum Beispiel am Rosenmontag. Da sind die Umzüge aus Mainz, Köln und Düsseldorf übertragen worden. Der Fernseher war dann auch bei uns schon am frühen Nachmittag an. Meine Mutter war gespannt darauf, welche Politiker dieses Jahr durch den Kakao gezogen würden. Als Kind war ich manchmal schockiert, wie übertrieben da Leute wie der Bundeskanzler dargestellt worden sind, den ich sonst ja nur in Anzug und Krawatte kannte. Später habe ich verstanden warum: An Karneval, Fasching und Fasnacht wird die Ordnung der Welt nach menschlichen Maßstäben auf den Kopf gestellt. Die närrischen Tage werden, je nachdem wo man lebt, unterschiedlich bezeichnet und gefeiert. Für alle gilt aber: Sie haben christliche Wurzeln. Ihren gemeinsamen Ursprung haben sie im Mittelalter. Beim „Fest der Narren“ sind fromme Priester und hoch angesehene Bürger mit Masken durch die Straßen gezogen und haben sich lustig gemacht über Gott und die Welt. Es gab sogar einen Festvorsteher, einen sogenannten „Spottkönig“ oder einen „Bubenbischof“. Selbst hohe Persönlichkeiten haben damit rechnen müssen, auf den Arm genommen zu werden. Das ist bis heute so: Die Macht der Regierenden wird in Frage gestellt. Ganz lebendig ist dieser Brauch eben bei den Rosenmontagszügen im Rheinland. 2020 zum Beispiel ist eine Figur von US-Präsident Donald Trump auf einem Wagen als römischer Kaiser und Brandstifter Nero durch die Straßen gerollt. Sehr wahrscheinlich werden wir heute Wladimir Putin auf den Themenwagen erkennen.

Was mich als Kind schockiert hat, tut mir heute gut. Menschen die ihre Macht missbrauchen, werden vorgeführt und so überzeichnet, dass ich sogar darüber lachen kann. Mit Humor kann ich manchmal tatsächlich leichter ertragen was wahr und unrecht ist. Nicht zufällig wird Jesus in der Kunst auch als Narr dargestellt. Als einer, der eine verkehrte Welt verkündet. Veränderte Machtverhältnisse. Eine Welt, in der die Ersten die Letzten sein werden und die Letzten die Ersten. Die närrischen Tage verändern unsere Machtverhältnisse nicht.

Aber sie halten meine Sehnsucht wach: Eine andere Welt ist möglich.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=37138
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