SWR2 Wort zum Tag

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08FEB2023
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Es riecht nach Spätzle mit Soße. Meine Vorfreude auf ein gutes Essen steigt. Aber ich bin auch ein bisschen aufgeregt. „Herzlich willkommen und schön, dass Sie uns besuchen!“ Die freundliche ältere Dame lächelt mich an und hält mir die Tür auf. „Bitte gehen Sie nach dort drüben, wir zeigen Ihnen gleich, wo Sie sitzen können“, spricht mich ein weiterer Herr an. Auch er sieht mich so freundlich an und schenkt mir ein breites Lächeln. Ungefähr 100 Menschen sind schon da. Sie sitzen zu viert oder zu fünft zusammen, essen gemeinsam, unterhalten sich, lachen. Mein Blick fällt auf die liebevoll gedeckten Tische, mit Schneeglöckchen in kleinen Vasen auf grünen Tischdecken. Und ich sehe die junge Frau mit weiß gestärkter Schürze, die mit großer Hingabe einen der Tische neu eindeckt. „Das ist ja wie in einem Sterne-Restaurant“, denke ich mir und freue mich.

Aber der Raum, in dem ich bin, ist kein Sternerestaurant. Es ist der Kirchenraum der Friedenskirche in Ludwigsburg. Für drei Wochen ist er umgebaut worden, damit dort die Vesperkirche stattfinden kann. So, wie überall im Land in der kalten Jahreszeit Kirchen und Gemeindehäuser ihre Türen öffnen und für einige Wochen zu Vesperkirchen werden. Jeden Tag kommen Menschen mit und ohne viel Geld, um zu essen und Gemeinschaft zu haben. Sie zahlen 1,50 Euro und werden dann umfassend versorgt. Mit dem Motto der Vesperkirche in Ludwigsburg: „Miteinander für Leib und Seele.“ 

Was mich daran besonders fasziniert: Hier werden die Menschen angeschaut wie in einem Sternerestaurant. Mit freundlichen Blicken. Aufmerksam und zuvorkommend. Und zwar alle Menschen, egal, ob sie arm oder reich sind, jung oder alt. 

Ich merke, wie gut mir das tut. Ich entspanne mich. Ich beginne, meinen Blick zu heben und die anderen Menschen anzulächeln, obwohl ich die meisten gar nicht kenne. Denn ich erlebe das als Gast der Vesperkirche, was laut einer kürzlich veröffentlichten Umfrage auch für obdachlose Menschen am wichtigsten ist: dass ich nicht ignoriert werde, sondern mich jemand freundlich und direkt anschaut.   

Und plötzlich erschließt sich mir die Jahreslosung noch einmal ganz neu.  „Du bist ein Gott, der mich sieht“. Hier in der Vesperkirche werde ich so freundlich angesehen, wie der barmherzige Gott mich auch ansieht.

Ich will mir diesen Blick merken. Und am heutigen Tag die Menschen um mich herum auch so anschauen. Egal, ob ich in der Vesperkirche bin oder irgendwo in meinem Alltag.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=37055
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