SWR2 Wort zum Tag

SWR2 Wort zum Tag

16JAN2023
AnhörenDownload
DruckenAutor*in

Ich habe einige Erbstücke bei mir zu Hause, die mich mit Menschen verbinden, die schon gestorben sind – z.B. einen alten Holzschrank von meiner Großmutter oder die Briefe von einer lieben Freundin. Sie haben ihren besonderen Platz gefunden. Aber ich kenne auch das Problem, dass ich für manche Erbschaften keinen Platz habe – etwa für die vielen Bücher, die sich in unserer Familie angesammelt haben. Da muss ich aussortieren und auswählen, was ich wirklich behalten will.

Erbschaften gibt es für mich nicht nur im Hinblick auf Dinge. Es gibt auch ein geistiges Erbe, etwa die Werte und Glaubensgrundsätze meiner Eltern. Je älter ich selber werde, desto mehr wird mir bewusst, wie sehr ich von ihnen geprägt bin. Aber ich kann sie nicht einfach übernehmen wie ein Möbelstück. Mir fällt dazu der Ausspruch von Goethe ein: „Was du ererbt von deinen Vätern, erwirb es, um es zu besitzen.“ Gerade ein geistiges Erbe muss ich mir aneignen, wenn es nicht eine äußere Fassade bleiben soll. Dazu gehört, dass ich mich damit auseinandersetzen kann, dass ich auswähle, was zu mir und in meine Zeit passt. Das gilt besonders für den Glauben. Einfach nur Traditionen fortzuführen – etwa Weihnachten und Ostern zu feiern, gelegentlich in die Kirche zu gehen, bedeutsame Lebensabschnitte wie eine Hochzeit oder die Ankunft eines Kindes mit einem kirchlichen Fest zu begehen – das reicht nicht aus.

Für mich war es wichtig, dass ich Menschen begegnet bin, die mich inspiriert haben und meinen Fragen nicht ausgewichen sind. So habe ich etwa einen Zugang zur Bibel gefunden, weil mir im Theologiestudium biblische Texte in ihrem geschichtlichen Kontext erschlossen wurden. Doch ich kenne auch viele, denen das religiöse Erbe ihrer Vorfahren fremd geworden ist, weil sie keinen Zugang gefunden haben.

Glauben ist nicht so sehr die Übernahme abstrakter Glaubenssätze, sondern ein existentieller Akt des Vertrauens: nämlich daran zu glauben, dass ich von Gott geliebt und gewollt bin, dass mein und unser aller Leben einen Sinn hat – egal, was passiert. Ich kann das nicht allein. Ich brauche die innere Verbindung zu Menschen, die aus diesem Gottvertrauen leben. Mit meiner Freundin war das so. Viel zu jung ist sie an Krebs erkrankt – unheilbar. Bei unserem letzten Gespräch kurz vor ihrem Tod hat sie zu mir gesagt: „Ich habe nicht so große Angst vor dem Sterben. Ich habe schon das Licht erfahren, zu dem ich hingehe.“

https://www.kirche-im-swr.de/?m=36918
weiterlesen...