Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

14JAN2023
AnhörenDownload
DruckenAutor*in

Als Kind und Jugendliche lebte ich am Rhein und wir gehörten zu einer Kirchengemeinde, die nicht einen einzelnen Pfarrer hatte, sondern von einer WG geleitet wurde, in der 6 verschiedene Priester wohnten. Die Herren wollten nicht als Herr Pastor oder Herr Vikar oder Herr Kaplan angesprochen werden, wie es damals üblich war. Sie hätten einen Familien-Namen, Herr Meier sei völlig ausreichend. Sie wussten schon damals: wir sind nur das Bodenpersonal, der Herr ist im Himmel.

Es war die Zeit nach dem Zweiten Vatikanischen Reformkonzil (1962 bis 1965). Die Messe wurde in Deutsch gehalten. Der Priester stand nicht mehr mit dem Rücken zu den Menschen, sondern schaute uns an. In den Abendmessen samstags wurde fetzige Musik gespielt mit Gitarre und Schlagzeug.

Eine andere Neuerung war, dass am Karfreitag nicht mehr für die treulosen Juden gebetet werden durfte, die Jesus ans Kreuz gebracht hatten. Die katholische Kirche war zu der Einsicht gekommen, dass Gott seinen Bund mit dem Volk Israel keineswegs aufgekündigt hatte. Die katholische Kirche hat sich versöhnt mit dem jüdischen Glauben und hat auch anerkannt, dass außerhalb der Kirche Heil zu finden ist – was bis dahin undenkbar schien. Jedenfalls im Katechismus.

Wunderbare Entwicklungen in einer Zeit des Aufbruchs.

Umso verblüffter ist man, wenn jemand erzählt, er habe mit dem Herrn Kaplan gesprochen. Und wenn dieser Herr Kaplan sich auch gern so ansprechen lässt. Auf den ersten Blick scheint das belanglos, aber es steckt ja eine Bedeutung dahinter.

In der Bibel lese ich dazu:
„Ihr aber sollt euch nicht Rabbi nennen lassen; denn nur einer ist euer Meister, ihr alle aber seid Brüder. Auch sollt ihr niemanden auf Erden euren Vater nennen; denn nur einer ist euer Vater, der im Himmel. Auch sollt ihr euch nicht Lehrer nennen lassen; denn nur einer ist euer Lehrer, Christus.“*

Mir gefällt, dass wir Brüder und Schwestern sind – ja, die Schwestern sind nicht nur mit gemeint, sie werden auch extra erwähnt – und dass wir einen Vater haben, den im Himmel.

* Mt 23, 8-10

https://www.kirche-im-swr.de/?m=36900
weiterlesen...