SWR4 Abendgedanken

SWR4 Abendgedanken

27DEZ2022
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Neulich war ich bei uns in der Fußgängerzone unterwegs – es war noch Weihnachtsmarkt. Da kam eine junge Frau geradewegs auf mich zu: Knallpinke Haare, Jeans mit Löchern und einem struppigen Hund an der Leine. Ich war mir sicher, gleich kommt die Frage, ob ich mal nen Euro hätte – oder zwei. Für Hundefutter oder so etwas. Und innerlich habe ich mir schon zurechtgelegt, wie ich sie abwimmeln könnte. Und dann kam dieser Satz: „Entschuldigen Sie bitte, haben Sie vielleicht ein Taschentuch für mich?“

Klar, hatte ich. Und das wars auch schon. Ich glaube, ich hätte in dem Moment gerne Mal mein Gesicht gesehen. So geschämt habe ich mich. Wie kann man jemanden nur wegen seinem Aussehen gleich in so eine Schublade stecken? Das war mir echt arg. Gerade im Advent und in der Weihnachtszeit.

Da feiern wir doch, dass Gott selbst zu uns gekommen ist. Und zwar ganz egal, wie wir aussehen oder ob wir etwas hermachen. Das war ihm selber auch nicht wichtig. Er ist nicht mit viel Glanz und Gloria und einem großen Staatsempfang gekommen. Im Gegenteil. Still und leise bei den Ärmsten der Armen. In einem Stall. Nur ein kleines neugeborenes Kind. Hilflos. Schutzlos. Und völlig darauf angewiesen, dass es versorgt wird. Und doch: Gott selbst.

„Der Mensch sieht nur auf das Äußere, Gott aber sieht das Herz.“ An diesen Satz aus der Bibel, musste ich nach meiner kleinen Begegnung mit der jungen Frau immer wieder denken.

Das war auch was, was Jesus in seinem Leben immer wieder deutlich gemacht hat. Beurteile die Menschen nicht vorschnell nach ihrem Äußeren. Noch nicht einmal, nach dem, was sie tun und welche Rolle sie versuchen, auszufüllen. Er hat sich von jedem und jeder ansprechen lassen. Er hat sich mit Gaunern und Betrügern an einen Tisch gesetzt und ist zu denen gegangen, zu denen sonst keiner wollte. Jesus wollte das Herz der Menschen erreichen – durch jede Fassade hindurch.

Und genau das war von Anfang an schon so. Von Geburt an, als Jesus hilflos in einer armen Krippe gelegen hat.

Die Leute sollten ihn nicht gut finden, weil er stark und groß und mächtig war. Er wollte von Anfang an das das Herz von uns Menschen erreichen. Und vielleicht auch in jedem Menschen das allerbeste sehen. Auch die beste Version von mir. Mich und mein Herz so sehen, wie ich es eigentlich selber nicht kann. Klar, ich kann meine Mitmenschen nur nach dem beurteilen, was ich sehe. Und wie sie sich verhalten. Und trotzdem, habe ich mir das vorgenommen. Es immer wieder zu versuchen, sie – wenigstens ein bisschen – mit Gottes Augen zu sehen. Vielleicht gibt es dann noch mehr so „Taschentuchmomente“.

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