SWR2 Wort zum Tag

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07JAN2023
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Wie lange dauert die Erholungsphase nach einer Krise? Ich frage mich das momentan oft, denn ich habe den Eindruck, dass wir nach der Pandemie-Krise ziemlich nahtlos wieder in den Alltag von zuvor zurückgekehrt sind. Bei uns in der Schule läuft alles wieder wie vorher. Ich finde das auch gut, weil ich den Alltag vermisst habe und die Normalität guttut. Aber abends merke ich, dass ich oft nicht mehr aus dem Haus will, obwohl ich doch vor der Pandemie gerne noch ins Theater und ins Konzert gegangen bin oder nach dem Feierabend noch Freunde getroffen habe. Und morgens spüre ich deutlich eine tiefere Erschöpfung. Wenn ich das anderen erzähle, sagen viele, dass es ihnen genauso geht. Erst recht merke ich es bei den Schülerinnen und Schülern. Sie wirken manchmal wie getrieben, von dem Druck, dass sie alles nachholen müssen: Lernstoff, den sie versäumt haben, aber auch Feste und Urlaube, die sie nicht haben konnten. Ganz zu schweigen von den Diskussionen, die sie im Klassenzimmer und in den Pausen führen und die helfen, erwachsen zu werden und seinen eigenen Stand im Leben zu finden.

Ich denke nicht, dass ich diesen Trend einfach umkehren oder verändern kann. Mir kommt es nur so kurzsichtig vor, wenn wir so tun, als ob nichts geschehen wäre. Als ob wir nichts verarbeiten müssten. Dabei haben wir Einschränkungen ertragen, waren voller Sorge, wie es mit der Pandemie ausgeht und haben oft Meinungsverschiedenen erlebt, die unsere Beziehungen auf eine harte Probe gestellt haben.

Ich habe auch keine Faustformel gefunden, wie lange man sich durchschnittlich von einer Krise wie dieser erholt. Wenn ich im Internet suche, finde ich allenfalls Berechnungsformeln dafür, wie lange man Liebeskummer haben darf. Aber vielleicht geht es ja gar nicht darum, was dabei normal ist und was man darf. Denn diese Krise, die wir alle erlebt haben, war ja vieles, aber eins nicht: Sie war nicht normal.

Ich habe mir deshalb vorgenommen, dass ich mir kein Zeitlimit setze, wann ich mit der Erholung durch sein muss. Aber ich will auf mich und auf die anderen in meinem Umfeld achten, und immer wieder darauf aufmerksam machen, dass wir uns so eine Erholungszeit zugestehen und liebevoller mit uns sein dürfen. Denn als Menschen brauchen wir Zeit für die körperliche und geistige Erholung. Ich setzte mir konkrete Erholungszeiten in meinen Wochenkalender. Und diese Zeit will ich mir und anderen zugestehen und aushalten. Denn ich bin noch nicht wieder so zu Kräften gekommen wie vor der Krise.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=36837
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