SWR4 Abendgedanken

SWR4 Abendgedanken

04JAN2023
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Welche Kraft ein Lächeln hat, spüre ich jeden Tag, wenn ich mit dem Auto in unsere Straße reinfahre. Seit ein paar Wochen hängt da so eine elektrische Tafel, die anzeigt, mit welchem Tempo man unterwegs ist. Bin ich zu schnell, blinkt die Tafel rot. Ich bremse und fühle mich ertappt. Fahre ich langsam genug, leuchtet mir ein grüner Smiley entgegen. Obwohl ich weiß, dass es nur eine Maschine ist, die mich da anlächelt, löst das trotzdem ein gutes Gefühl bei mir aus. Ich freu mich ein bisschen und lächle dann manchmal auch. Und ich fahre inzwischen meistens mit der richtigen Geschwindigkeit. Das System funktioniert also. Und es zeigt mir: Ein Lächeln kann etwas bewirken – sogar ein elektronisches Lächeln.

Und das ist nicht nur im Straßenverkehr so. Neulich beim Frühstück hat meine Tochter was Spannendes aus dem Kindergarten erzählt und dabei ein bisschen zu heftig mit den Armen gewedelt. Der Inhalt ihrer vollen Müslischüssel ist über den Tisch, ihre Hose und den Teppich gelaufen. Eine Riesensauerei. Ich bin froh, dass ich es geschafft hab, nicht gleich loszuschimpfen, wie mir das sonst oft passiert. Ich konnte lächeln – so ein „Das passiert halt – Lächeln“ und das Ganze war in Nullkommanichts entschärft.

Die Kraft des Lächelns zeigt sich auch, wenn man verliebt ist, und die oder der andere einem ein Lächeln schenkt. Da passiert etwas im Körper. Das löst eine richtige Gefühlskaskade aus. Es kribbelt und einem wird heiß und kalt zugleich. Von einer Sekunde auf die andere. Ein tolles Gefühl. Und das alles durch ein einziges Lächeln.

Es gibt aber auch Lächeln, das weh tut. Wenn ich meiner Kollegin etwas Persönliches erzähle und sie das mit einem falschen Lächeln einfach abtut. Oder wenn ein Abiturient belächelt wird, der sich für einen pflegerischen Beruf interessiert. Und es gibt Tage, an denen mir einfach nicht nach Lächeln zumute ist.

Es ist dann etwas Besonderes, wenn ich nach solchen Tagen doch immer wieder ein Lächeln finde. Wenn meine Kinder mir einen Streich spielen und sich freuen, wenn es klappt. Oder wenn ich sehe, dass eine Schülerin richtig zu strahlen beginnt, weil sie was Tolles geschafft hat. In solchen Momenten wandern dann auch meine Mundwinkel nach oben und ich spüre, wie gut mir tut, wenn ich lächle.

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