SWR2 Zum Feiertag

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26DEZ2022
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Heute feiert die katholische Kirche das Fest des Heiligen Stephanus. Er wird als der erste christliche Märtyrer verehrt. Warum wird dieses Fest ausgerechnet am ersten Tag nach Weihnachten gefeiert? Und welche Bedeutung kann dieser erste Märtyrer für uns heute  haben? Darüber spreche ich mit dem Freiburger Erzbischof, Stephan Burger.

 

  1. Herr Erzbischof, wir haben Sie heute Morgen um dieses Gespräch gebeten, weil wir vermuten, dass Sie zu ihrem Namenspatron „Stephan“ eine besondere Beziehung haben. Was fasziniert Sie an dieser Gestalt?

 

Es sind zwei Aspekte die mich da faszinieren: Zum einen: von Kindesbeinen an hörte ich ja immer am zweiten Weihnachtsfeiertag die Lesung aus der Apostelgeschichte. Dieser Stephanus, wie er da freimütig seinen Glauben bekennt und „den Himmel offen sieht“. „Den Himmel offen sehen - wie geht das?“, ist die Frage, die mich bis heute beschäftigt.

Und zum anderen war er aufgrund seiner Dienste in der Urgemeinde bei den Menschen ganz nah dran als Diakon. Diese zwei Aspekte sind für mich bis heute faszinierend.

 

  1. Die Apostelgeschichte ist das einzige biblische Buch, das uns etwas von Stephanus erzählt; besonders viel erfahren wir aber auch dort nicht. Offenbar war er sehr gebildet, wörtlich heißt es: „er war erfüllt vom Glauben und vom Heiligen Geist“. Warum feiern wir sein Fest ausgerechnet nach Weihnachten?

 

Um diese Frage zu beantworten, müssen wir ein klein wenig in die Geschichte eintauchen. Und ich denke, diese Verbindung von Weihnachten und dem Fest des Heiligen Stephanus geht zurück ins 4. Jahrhundert. Und da hat es eben die Kirche gerade geschafft, mit der Konstantinischen Wende Oberwasser zu gewinnen. Dieses Zeugnis war immer Blutzeugnis. Von daher hat Stephanus für seinen Glauben einzustehen, öffentlich einzustehen, dafür das Leben hinzugeben. Das hat viele Christen in der Urgemeinde, in der jungen Gemeinde, beschäftigt und umgetrieben. Man hat sich diese Märtyrer als Vorbild genommen, um dann zu sehen: da kommt dieser Jesus Christus in die Welt, das Wort Gottes nimmt Fleisch an. Und dafür leben diese Märtyrer selber und geben mit ihrem Leben Zeugnis ab, unter anderem eben dieser Stephanus.

 

  1. In der Jerusalemer Gemeinde kümmerte sich Stephanus um Menschen in sozial prekären Verhältnissen; später hat man ihn deshalb als den ersten „Diakon“ bezeichnet. Der Anlass wird gar nicht benannt, aber irgendwann eckt Stephanus an, bei anderen Gemeindemitgliedern, den religiösen Autoritäten und Schriftgelehrten. Am Ende wird Stephanus der Gotteslästerung angeklagt, er selbst wirft seinen jüdischen Glaubensgeschwistern vor, den Geist Gottes verraten zu haben.

Erzbischof Stephan, können Sie sich als Bischof in diesem Drama auch in die Rolle der religiösen Autoritäten einfühlen? Sie alle verteidigen doch nur ihren Glauben, ihre Tradition.

 

Und dies ist jetzt die Grundfrage: Geht es nur noch um den Glauben und die Tradition, oder ging es um mehr. Eine Frage, die sich auch heute für mich stellt - als einer, der Verantwortung trägt in dieser katholischen Kirche. Und ich denke, was Stephanus sicherlich ein Anliegen war: genauer hinzuschauen. Geht es wirklich nur um den Glauben an sich, oder geht es schon um Machtpositionierungen, um Dinge festzuhalten, Leute beeinflussen zu können, das eigene Machtverhältnis nicht aufgeben zu wollen. Ich denke, das sind Fragen, die sich damals die Mächtigen, die Verantwortlichen gestellt haben und sich heute genauso stellen.

Stephanus eckt da natürlich an mit seiner Botschaft. So wie er Jesus Christus verstanden hat, so wie er diese Botschaft leben wollte und damit auch bezeugt hat. Insofern bleibt dieser Stephanus für mich bis heute eine Gestalt, die es möglich macht, und die mich auch auffordert, meine eigene Situation zu hinterfragen: Wie stehe ich zum Glauben, zur Kirche und um was geht es mir? Geht es um Machterhalt, geht es um Positionsverteidigungen, oder geht es wirklich darum aus diesem Geist Jesu heraus zu leben? Und dies ist eine Konfrontation, der mussten sich damals die Verantwortlichen stellen, die religiösen Führer und natürlich auch wir heute in unserer Kirche.

Und ich denke, die damals Mächtigen haben versucht, ihre Position zu erhalten, zu bewahren. Aber damit haben sie auch den Tod in Kauf genommen, und das kann es nicht sein - auch für mich heute nicht. Da geht darum, aus dem Geist des Evangeliums heraus, aus diesem Geist Jesu, aus dieser Liebe Gottes, die Fleisch geworden ist, zu leben und sein Leben zu gestalten.

 

  1. Wenn ich heute die Geschichte von Stephanus und vielen anderen Märtyrern höre, bin ich von deren Glaubensstärke beeindruckt. Mich beschleicht aber auch eine leise Skepsis. Ist ein solches Martyrium wirklich nötig? Das wäre womöglich doch mit ein bisschen mehr diplomatischem Geschick vermeidbar. Ist der Märtyrer vielleicht auch zu wenig kompromissbereit.

 

Der Märtyrer, der als Fanatiker unterwegs ist, der ist nicht kompromissbereit - der Märtyrer, der meint, alles erzwingen zu können. Aber das ist für mich ein falsches Martyrium. Martyrium - da geht es für mich um das Zeugnisgeben von dieser Botschaft, von dieser Gemeinschaft. Und Stephanus hat auch dieses Martyrium nicht gesucht. Er wurde konfrontiert von den damals Mächtigen, und er hat Stellung bezogen. Und das hat den damals Mächtigen und Religionsführern nicht gepasst. Und dafür ist er nachher hingerichtet, umgebracht worden.

Das Martyrium zu suchen war noch nie Aufgabe von Christinnen und Christen. Aber das Martyrium zu erleiden, wenn es gefordert ist, das ist eine ganz andere Situation. Und das meint  Jesus auch mit seinen Worten: Wenn wir zu ihm stehen, mit ihm gehen, wenn wir von ihm Zeugnis ablegen, hat das irgendwann auch Konsequenzen. Und die können sehr unangenehm sein.

 

  1. Wie können und sollen wir heute auf Märtyrerinnen und Märtyrer schauen? Müssen wir einen wie Stephanus immer noch als den idealen Nachfolger Jesu betrachten? Im Sinne von: Wer Christus nachfolgt muss das Kreuz auf sich nehmen?

 

Rückfrage: Gibt es den Idealen Nachfolger? Den gibt es meines Erachtens nicht. Und das belegen ja auch zur Genüge die verschiedenen Heiligengeschichten, die wir kennen. Personen, die um Jesus gerungen haben, die sich auf ihn eingelassen haben - aber die waren alle nie perfekt. Aber sie sind ihren Weg gegangen, indem sie treu zur Botschaft Jesu gestanden sind, indem sie an das Wort seiner Botschaft, an seine Liebe geglaubt haben. Und sie haben auch versucht, soweit es ihren Möglichkeiten und Kräften stand, diese Liebe zu geben und umzusetzen - Zeugnis davon zu geben. Und das hat dann eben auch Konsequenzen.

 

 

  1. Herr Erzbischof, Sie sind innerhalb der Deutschen Bischofskonferenz für die kirchlichen Hilfswerke Misereor und Caritas International zuständig. Durch diese Aufgabe kommen Sie viel in Länder, in denen es um die „Religionsfreiheit“ schlecht bestellt ist. Menschen werden um ihres Glaubens willen diskriminiert, verfolgt und auch getötet. Aus der einen Bluttat folgen oft viele andere. Auch im Christentum wurden aus den früher Verfolgten, die Verfolger von morgen. Stephanus soll im Augenblick seines Todes noch um Vergebung gebeten haben, für die, die ihn steinigen. Ist das womöglich die Botschaft des heutigen Tages?

 

Krippe und Kreuz gehören zusammen. Diese Mensch gewordene Liebe Gottes gibt sich am Kreuz für uns Menschen hin. Und Jesus selber hat am Kreuz auch für diejenigen gebetet, die ihn hingerichtet haben, bis hin zu diesem einen Verbrecher, dem er Schutz zusagt. Und ich denke, das Leben so zu gestalten, dass sich an uns das Böse austoben kann, dass wir das Böse nicht mehr vermehren - das wird durch die Lebenshingabe Jesu am Kreuz und auch im Fall dieses Stephanus eindeutig belegt.

Wir Christen haben die Aufgabe in dieser Welt, das Böse nicht zu vermehren, dem Bösen nicht Widerstand dadurch zu leisten, dass wir wiederum Böses tun. Sondern lernen, so hart das mitunter sein mag, auch das Böse auszuhalten, ins Leere laufen zu lassen. Das ist christliches Zeugnis, dazu ermutigt uns Stephanus mit seinem Beispiel. Und das ist auch jetzt das, was geboten ist, wenn wir in der Nachfolge Jesu stehen. Seine Liebe leben, Böses auszuhalten, dem Bösen Widerstand zu leisten durch die unendliche Macht seiner Liebe. Das ist schwer, das fordert uns immer wieder heraus. Und da scheitern wir auch jeden Tag - ich ebenso, wo ich einfach merke, dass mitunter mein Glaube, meine Liebe zu schwach ist, und sehr viele eigene Interessen auch mein Leben bestimmen. Aber sich daran erinnern lassen, dass es um das Größere geht, um diese gelebte Liebe, um die Überwindung des Bösen - das zeigt mir Weihnachten, das zeigt mir Stephanus.

 

Das war „SWR2 Zum 2. Weihnachtsfeiertag“ mit Alexander Foitzik und Erzbischof Stephan Burger aus Freiburg. Herzlichen Dank, Herr Erzbischof, dass Sie mit uns geteilt haben, was Sie an Ihrem Namenspatron Stephanus fasziniert. Allen, die heute Namenstag feiern: Herzlichen Glückwunsch!

https://www.kirche-im-swr.de/?m=36734
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