SWR2 Wort zum Tag

SWR2 Wort zum Tag

17DEZ2022
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Wenn Sie - wie ich - überzeugte Frühaufsteher sind, werden Sie die Stunde kurz vor der Morgendämmerung kennen. Es ist die dunkelste Stunde der Nacht. Zunächst erhellt kein Lichtstrahl die Welt. Dann, ganz zart, färbt sich zögernd die erste Wolke. Konturen schälen sich aus der Dunkelheit - noch verschwommen, langsam immer deutlicher werdend.

Der Apostel Paulus muss ein Frühaufsteher gewesen sein. Die Nacht ist vorgerückt - der Tag ist nahe herbeigekommen, schreibt er im Römerbrief. Es sind adventliche Worte, denn sie verweisen darauf, dass in der dunkelsten Zeit des Jahres die Geburt Christi gefeiert wird. Die erste Christenheit meinte: Das Licht der Welt kommt in der dunkelsten Zeit am besten zur Geltung. Und haben deshalb das Weihnachtsfest in die dunkelste Jahreszeit gelegt. Christen überall auf der Welt bereiten sich gerade darauf vor. Auch in Weltgegenden, in denen jetzt gerade Sommer ist. Und viele andere feiern mit, ob gläubig oder nicht, und zünden Hoffnungslichter an.

Die Stunde vor der Dämmerung, die ersten Strahlen des Lichts, sie verkünden: Es ist jetzt Zeit, gute, segensreiche Zeit, aufzustehen, auch seelisch aufzuwachen. Das, was mein Leben verdunkeln will, soll nicht die letzte Deutungshoheit über mein Leben gewinnen dürfen. Dabei ist durchaus eine gesunde Portion Misstrauen angebracht. Vorsicht ist geboten, wenn mir die Lichter in dieser Zeit das Gefühl für die Dunkelheit nehmen sollten. Wenn ich nicht mehr weiß, was mein Leben verdunkelt, weil ich mich dem nicht stellen kann oder mag, dann kann ich mich auch nicht über das freuen, was mein Leben erhellen und erleuchten will. Ich kann – leider - die Dunkelheit nicht überspringen, sondern muss sie aushalten. Dann erst kommt die Dämmerung.

Mitten in der Dunkelheit kann ich mich sehr einsam fühlen, und wer kennt nicht die einsam durchweinten Nächte. Mit den ersten Lichtstrahlen aber zeigen sich Umrisse. Alles, was die Nacht verschluckt hatte, nimmt langsam wieder Gestalt an. Wird greifbar. Ich finde es eine schöne Vorstellung, dass ich nicht alleine warte. Da sind noch viele andere Menschen, die sich sehnen, die in der Dämmerung warten. Ich stelle mir vor, dass ihre Gesichter mit dem zunehmenden Licht Konturen gewinnen. Viele warten auf das Licht. Warten darauf, dass sich die Welt verwandelt. Warten auf das, was der Engel in der Weihnachtsnacht verkündet hat: Friede auf Erden! Fürchtet euch nicht!

Bald brennen vier Lichter auf dem Adventskranz, zarte Hoffnungsschimmer. Die Nacht ist vorgerückt, der Tag herbeigekommen. In einer Woche ist Weihnachten. Das Licht kommt in die Welt.

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