Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

15DEZ2022
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Es ist Freitagvormittag und in meiner Schule große Pause. Ich bin Schulseelsorgerin und feiere zusammen mit einigen Schülerinnern und Schülern einen kleinen Gottesdienst. Wir sitzen auf Stühlen vorne in der Schulkapelle, und die Türen hinten stehen weit offen.

Wir halten gerade einen Moment Stille, da sehe ich aus den Augenwinkeln zwei Mädchen aus der fünften Klasse an den Türen. Die eine versteckt sich hinter einer Säule, die andere in einer Nische in der Wand. Die beiden spielen wohl Verstecken und sind so vertieft, dass sie uns gar nicht bemerken.

Die Jungs und Mädchen bei mir vorne zünden jetzt Kerzen an. Sie bringen damit alles, was ihnen gerade durch den Kopf geht, zu Gott. Richtig andächtig machen sie das. Mein Blick wandert währenddessen immer wieder zu den beiden Kindern an den Türen. Sie warten geduldig in ihren Verstecken, ob jemand sie findet. Sie sind mit jeder Faser ihres Körpers darauf ausgerichtet, dass sie jeden Moment gefunden werden.

Ich muss lächeln und überlege: Wir suchen ja alle im Leben etwas. Und gleichzeitig wollen wir gefunden werden. Jedenfalls ist das bei mir so. Ich suche freie Zeit, echte Freundschaften und auch Anerkennung. Und da gibt es diese Sehnsucht danach, dass ich als ganzer Mensch ‚gefunden‘ werde, also so angenommen werde, wie ich bin. Von einem anderen Menschen oder von Gott.

Ich denke da auch an meine Freundin, die nach vielen Jahren von ihrem Partner verlassen wurde. Und wie sie sich danach sehnt, dass da jemand ist, der sie sieht und wieder liebt. Oder der ältere Mann im Pflegeheim, der sich so sehr wünscht, dass jemand kommt und ihn besucht, dass er von einem lieben Menschen ‚gefunden‘ wird. Oder die Nachbarin, die liebevoll ihre kranke Mutter pflegt, und dabei selbst viel zu oft übersehen wird.

Ich bin überzeugt, dass Gott nach jedem Menschen sucht. Dass er mich finden möchte, auch wenn sich das für mich oft nicht so anfühlt. Mein Leben ist oft so voll, und mein Blick ist manchmal verschwommen, vor allem wenn ich enttäuscht bin oder meine Augen gerade voller Tränen sind. Aber ich will mich immer wieder daran erinnern, dass ich meine Antennen offen halte, damit er mich finden kann.  

„Ich hab Dich! Gefunden!“ Ein Junge kommt angelaufen und hat die zwei Mädchen entdeckt. Wir vorne mit unseren Kerzen müssen lachen. Ja, eine Kapelle ist auch ein ganz guter Ort, um sich finden zu lassen.

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