SWR4 Abendgedanken

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16NOV2022
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Sonntag beginnt die Fußball-WM. Normalerweise freue ich mich darauf, einfach vorm Fernseher zu sitzen, abzuhängen und die Welt drumherum zu vergessen. 22 Spieler, ein Ball und meistens eine Tüte Chips.

Dieses Jahr ist das alles aber irgendwie anders für mich. Die Fußball-WM findet in Katar statt. Dort haben Männer aus Indien, Afrika und Bangladesch geschuftet, um Stadien und Hotels zu bauen. Es gibt keinen Arbeitsschutz und keine Gewerkschaften. Und manche haben sich totgeschuftet. Im absolut wahrsten Sinne des Wortes. Katar hält auch nicht viel von anderen Freiheitsrechten. Die Frauen werden nach wie vor in einer patriarchalen Gesellschaftsordnung diskriminiert, von Rechten für Lesben, Schwule und Trans-Personen mal ganz zu schweigen. Klar, das ist tief in der Kultur des Landes verwurzelt. Und auch unsere Gesellschaft hier in Europa war bis vor wenigen Jahrzehnten nicht viel besser. Aber trotzdem: Kann man bei der WM einfach so darüber hinwegsehen?

Nun kann man natürlich sagen: Aber das hat mit dem Fußball doch gar nichts zu tun. 22 Spieler, ein Ball und meistens eine Tüte Chips. Was geht mich der Rest an? Aber, mal ehrlich: Ich zumindest kann mir den Rest nicht einfach wegdenken. Ich kann mir nicht gemütlich ein Fußballspiel in einem Stadion angucken, von dem ich weiß, dass es von modernen Sklaven erbaut wurde. Mir vergeht die Lust auf Völkerverständigung, wenn ich weiß, dass in den Folterkammern nebenan Menschenrechtsaktivisten und Gewerkschafter ohne Rechtsbeistand einsitzen.

Heute ist Buß- und Bettag. Ein Feiertag, an dem es darum geht zu überlegen, was falsch läuft, was uns von Gott trennt, wo wir in Unrecht verstrickt sind und uns schuldig machen. Für mich ist dieser ganze WM-Mist genau diese Art Verstrickung: Wo Menschen sich gegenseitig schaden und aneinander schuldig werden.

Aber: Was tun? Nützt es etwas, wenn viele nicht einschalten? Petra Bahr, evangelische Regionalbischöfin in Hannover, hat vorgeschlagen, dass Sponsorenverträge zukünftig daran gebunden seien könnten, dass „ethische und menschenrechtliche Mindeststandarts eingehalten werden“. Dann dürften nur noch Veranstaltungen gesponsert werden, die unter anständigen Bedingungen zu Stande kommen. Eine gute Idee, aber wie setzt man das durch? Oder müsste man nicht eigentlich auf die Straße gehen und für Menschenrechte protestieren?

Ich habe auf jeden Fall für mich entschieden: Keine 22 Spieler, kein Ball, keine Chips. Mit schlechtem Gefühl im Bauch Fußball gucken, das macht mir keinen Spaß. Und was machen Sie dieses Jahr?

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