SWR4 Abendgedanken

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14NOV2022
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„Es ist der Staub auf allen Gesichtern, weil das Wasser nicht einmal reicht, um den Durst zu stillen.“ – Ich lese diese Überschrift so nebenbei, als ich im Wohnzimmer an unserem Zeitschriftenstapel vorbeikomme und denke dabei: „Schöne Überschrift für ein Gedicht. Wunderschön und so poetisch formuliert.“ Und ich gehe weiter, räume auf, hänge Wäsche ab. Doch kehre ich zu dem Zeitungsstapel zurück: Was habe ich da eigentlich gerade gelesen? Mich trifft es wie ein Donnerschlag. „Es ist der Staub auf allen Gesichtern, weil das Wasser nicht einmal reicht, um den Durst zu stillen.“ Das ist kein Gedicht. Das ist Realität, das ist die Überschrift eines Artikels aus der Zeitung. Und gerade darum trifft mich die Erkenntnis mit besonderer Härte: Da steht, es gibt Gegenden auf der Welt, da ist Wasser zu kostbar, um sich zu waschen. Es reicht nicht mal, um genug zu trinken!

Navid Kermani, der bekannte Autor, hat im Süden Madagaskars recherchiert und beschreibt in seiner Reportage, wie massiv sich der Klimawandel auf das Leben dort auswirkt. Die Dürre ist so extrem, dass Tiere und Menschen hungern und verdursten. Und das ist ja nur ein Beispiel dafür, wie der globale Süden unter den Auswirkungen der Klimaveränderung leidet, die der globale Norden, die wir alle, verursacht haben.

„Du, Gott, lässt Brunnen quellen in den Tälern, dass sie zwischen den Bergen dahinfließen, dass alle Tiere des Feldes trinken und die Wildesel ihren Durst löschen.“ Wasser. Das Lebensmittel schlechthin. Das wussten schon die Psalmbeter in der Bibel. Sie beschreiben, wie Gott die Ordnung in der Welt eigentlich gedacht hat. „Du, Gott, tränkst die Berge von oben her, du machst das Land voll Früchte, die du schaffst. Du lässt Gras wachsen für das Vieh und Saat zu Nutz den Menschen. (Psalm 104, 10-14a)“

Soweit der Plan. Aber: „Es ist der Staub auf allen Gesichtern, weil das Wasser nicht einmal reicht, um den Durst zu stillen.“ Das ist nicht das, was Gott gewollt hat. Mich hat dieser Artikel, glaube ich, so aufgerüttelt, weil ich erstmal ohne Nachzudenken, an ihm vorbeigelaufen bin. Versackt in meinen eigenen Alltag zwischen Aufräumen und Wäsche waschen. Ist das nicht so oft so: Irgendwo, irgendwie nehmen wir schon wahr, dass andere Menschen auf dieser Erde leiden, vielleicht sogar unter uns leiden, aber wir schieben es weg. Wir haben genug mit uns und unserem Leben zu tun.

„Es ist Staub auf allen Gesichtern…“ – Mich hat diese Zeile aufgerüttelt. Wachgerüttelt. Nicht mehr. Aber auch nicht weniger. Und ich will die Herausforderung annehmen und schauen, was sich aus diesem Erschrecken in meinem Leben entwickelt… Antworten habe ich noch nicht. Aber immerhin: Ich bin aufgewacht.

Die zitierte Reportage ist zu finden unter: https://www.zeit.de/2022/39/madagaskar-ostafrika-nationalpark-duerre-hunger 

https://www.kirche-im-swr.de/?m=36533
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