Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

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31OKT2022
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Im Sommerurlaub war ich in Sachsen unterwegs. Eine Kleinstadt in der Oberlausitz stand ganz oben auf meiner Wunschliste: Zittau. Hier wollte ich unbedingt die beiden Fastentücher sehen, für die der Ort im südöstlichsten Zipfel Deutschlands bekannt ist.

In der Heilig-Kreuz-Kirche ist das Große Fastentuch ausgestellt. Ein grober Leinenstoff, 6,80 m breit, 8,20 m hoch. Aufgespannt und geschützt hinter Glas.

Das Tuch zieht einen sofort in den Bann. Denn auf ihm entdeckt man Szenen aus dem Alten und Neuen Testament. Insgesamt 90 Bilder finden sich dort, gemalt mit Temperafarben. Dazu ein kurzer Text. Man sieht Gott, wie er Tiere und Menschen erschafft, schaut Noah beim Bau der Arche zu oder beobachtet den Tanz der Israeliten um das Goldene Kalb. Aber auch die Jesus-Geschichte ist präsent: von der Geburt bis zur Himmelfahrt. Ein frommer Zittauer Kaufmann hat das Kunstwerk 1472 gestiftet. Es sollte – wie damals vielerorts üblich – die Altäre in der Fastenzeit verhüllen, um die Gläubigen neu auf Ostern vorzubereiten.

Nur wenige dieser Fasten- oder Hungertücher sind erhalten geblieben. Das lag auch an der Reformation. Martin Luther konnte mit ihnen nichts anfangen. Er lehnte sie als „päpstliches Gaukelwerk“ entschieden ab. Das aber sahen die evangelischen Christen in Zittau anders. Sie hielten nicht nur das Große Fastentuch in Ehren, sie gaben sogar ein neues in Auftrag. Auf ihm wird die Leidensgeschichte Jesu dargestellt. Und auch dieses „Kleine Fastentuch“ kann der Besucher in Zittau bewundern.

Und so sind die beiden seltenen Kunstwerke auch ein Zeichen für Toleranz und Verständigung zwischen Katholiken und Protestanten geworden.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=36467
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