Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

03NOV2022
AnhörenDownload
DruckenAutor*in

Mein Wasserhahn in der Küche hat gespritzt. Mehr als ein Jahr. Den Wasserhahn in der Küche benutze ich oft. Deshalb habe ich mich jeden Tag auch mehrmals aufgeregt, weil ich anschließend die Arbeitsplatte und die Kacheln hinter dem Wasserhahn trocknen musste. Zwei Mal habe ich immerhin versucht, das kleine Sieb sauber zu machen das für die Spritzerei zuständig war. Ohne Erfolg. Und dann kam meine Schwester zu Besuch. Einmal Geschirrspülen mit dem Wasserhahn hat ihr gereicht. Sie hat das Sieb rausgenommen, angeschaut und festgestellt: „Das ist kaputt. Du brauchst ein neues. Kriegst du im Baumarkt. Wenn du unsicher bist, frag dort einen Mitarbeiter.“ Ich hab nicht mal gewusst, dass so ein Wasserhahnsieb ein einfaches Ersatzteil ist. Klingt komisch – aber ich war mit dieser Situation irgendwie überfordert.

Das neue Wasserhahnsieb ist auf seine Weise ein Geschenk des Alltags für mich. Es erinnert mich daran, dass ich manchmal Hilfe von anderen Menschen brauche, um ein Problem zu lösen. Ich muss aber nicht darauf warten, bis jemand kommt, der das bemerkt. Ich kann viel früher einfach jemanden fragen. Das kleine Sieb ist außerdem eine Lektion zum Thema „Energie sparen“: Es lohnt sich meistens, wenn ich mich sofort um ein Problem kümmere. Über ein Jahr hat mich dieses kleine Ding jeden Tag mehrfach beschäftigt. Das war unnötig und hat mich viel Energie gekostet. Sogar in doppelter Hinsicht. Denn es gibt heute Siebe, durch die in einer Minute deutlich weniger Wasser rinnt als durch mein Altes.

Warum passiert mir das trotzdem immer wieder? Dass ich Dinge auf die lange Bank schiebe? Nicht nur vermeintlich kleine, wie das defekte Wasserhahnsieb. Auch dem klärenden Gespräch mit einer Kollegin bin ich aus dem Weg gegangen; weil ich Angst davor hatte. Was ich ihr sagen wollte, war unangenehm. Und dann habe ich mich doch dazu aufgerafft. Anschließend war ich richtig erleichtert! Wir haben einander zuhören können, uns ausgetauscht und verstanden. Das hätte ich früher haben können. Wenn ich mich getraut hätte.

Dieses Gefühl bewahre ich mir: die Erleichterung am Ende, wenn der Wasserhahn nicht mehr spritzt und der Konflikt gelöst ist. Dann fällt es mir hoffentlich beim nächsten Mal leichter, kleine und große Probleme schneller anzupacken.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=36432
weiterlesen...