Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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02NOV2022
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Mir war sofort klar, dass Uli mir etwas Wichtiges sagen will. In einer Whatsapp hat er mir geschrieben: „Ich würde gerne mit dir telefonieren dieser Tage.“ Uli ist ein sehr guter Freund. Er war an Krebs erkrankt. Während die Ärzte den Tumor untersucht haben, hat Uli zwei Wochen lang damit gerechnet, dass er nur noch ein Jahr leben wird. Wir haben dann miteinander telefoniert. Zu diesem Zeitpunkt hat er schon gewusst: Es bleibt ihm wahrscheinlich doch noch mehr Zeit. Aber sicher war trotzdem nichts mehr.

Gegen Ende unseres Gesprächs habe ich Uli gefragt, wie es ihm jetzt geht nach den Wochen der Ungewissheit und der ersten Chemotherapie. Seine Antwort hat einen tiefen Eindruck in mir hinterlassen. Ich erinnere mich an jedes Wort. Er hat gesagt:

„Es geht mir sehr gut. In den zwei Wochen, in denen ich dachte dass ich nur noch ein Jahr leben werde, habe ich sehr viel mit meiner Frau gesprochen. Mein ganzes Leben ist an mir vorbeigezogen. Meine Studienjahre, als die Kinder klein waren. Alle Entscheidungen, die ich getroffen habe, Menschen die mich berührt haben, sind aufgetaucht. Mein Fazit hat mich selbst erstaunt. Ich habe gemerkt, dass ich jederzeit bereit bin, zu gehen. Ich kann sterben. Im Frieden gehen. Nichts ist offen. Es gibt keine ungelösten Konflikte. Keine alten Rechnungen. Ich bin aufgeräumt. Es wäre sehr schade, wenn ich gehen muss. Ich habe in den letzten Wochen sehr bewusst erlebt, wie gut ich es mit meiner Frau und meinen Söhnen habe. Das Leben ist so großartig trotz allem. Ganz ehrlich, diese Erkrankung ist auch ein Geschenk.“

Ich weiß: Es gibt viele Menschen, die das so nicht sagen können. Die leiden, weil sie schwer krank sind und die Angst haben vor dem Tod. Ich weiß auch nicht, wie es mir gehen würde, wenn ich so eine Diagnose bekäme. Aber mich beschäftigt seit der Erfahrung mit Uli die Frage: Was brauche ich um innerlich im Frieden zu sein. Mir sind vor allem Beziehungen zu Menschen eingefallen. Die kostbaren Beziehungen wie die zu meinem Sohn und seiner Familie. Oder zu meinen Freundinnen. Vor allem aber auch ungeklärte Beziehungen, die abgebrochen sind ohne Abschied. Zum Beispiel die zu einer Freundin in der Schweiz. Ich werde versuchen, sie wieder aufzunehmen. Und mir öfter bewusst machen, wie wichtig für meinen inneren Frieden klare Beziehungen zu Menschen sind.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=36431
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