SWR2 Wort zum Tag

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31OKT2022
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Viele wichtige Impulse sind von der Reformation ausgegangen. Heute, am Reformationstag 2022, möchte ich über die Freiheit nachdenken. Denn von allem, was Martin Luther angestoßen hat, scheint mir die Freiheit heute am meisten gefährdet zu sein.

Das Wort Freiheit erinnert an den Freihals, den Hals des Menschen, dem kein Sklavenjoch aufgelegt ist und der seinen Kopf frei erheben und in alle Richtungen bewegen kann. Martin Luther war die bewegliche Freiheit des Denkens sogar wichtiger als sein Leben. Für das, was er als richtig erkannt hatte, riskierte er die Konfrontation mit Papst und Kaiser, den wichtigsten Machtzentren seiner Zeit. Es grenzt an ein Wunder, dass er das überlebt hat. Es gab dann doch Menschen, denen die Freiheit der Gedanken am Herzen lag und die ihn geschützt haben. Selbstverständlich ist das nicht.

Ein Bonmot sagt: Der Mensch zieht ein sicheres Gefängnis einer gefährlichen Freiheit vor. Leider wahr! Für mich unverständlich gibt es Menschen, die ihre persönliche Bequemlichkeit wichtiger finden als politische Freiheit. Die sich nach der DDR zurücksehnen, weil da angeblich alles für sie geregelt wurde. Oder die Freiheit mit Egoismus verwechseln und die Freiheit zu unbegrenzter Ressourcenverschwendung rücksichtslos für sich beanspruchen, Stichwort: Ich first. Was schert mich die nächste Generation! Dabei lässt sich, so paradox das klingt, wahre Freiheit nur durch teilweisen Verzicht auf persönliche Freiheiten erreichen. Wenn ich nicht in der Lage bin, auch einmal die Komfortzone zu verlassen, wenn ich Sklavin meiner persönlichen Bedürfnisse bin, dann bin ich ja gerade nicht frei. Freiheit bedeutet nicht, das zu tun, worauf man gerade Lust hat, sondern einzutreten für eine Welt, die potentiell für alle Menschen lebenswert ist. Aus dieser Motivation heraus kämpfen Menschen unter Einsatz ihrer persönlichen Freiheit oder gar ihres Lebens für Pressefreiheit und Menschenrechte.

Ich bin sehr froh darüber, dass wir in einem Land leben, in dem Menschen nicht fürchten müssen, im Gefängnis zu landen, nur weil sie offen ihre Meinung sagen. Wenn ich mich in der Welt umschaue, ist das ein großes Privileg, das mir viel wert ist! Ich möchte nicht in China leben müssen, nicht in Nordkorea oder in Russland. Und ich bewundere alle, die in diesen Ländern den ganz persönlichen Einsatz für die Freiheit wagen.

Es ist nicht selbstverständlich, in einem freien Land zu leben. Ich glaube, wir müssen gemeinsam überlegen, was uns die Freiheit wert ist, gemeinsam mit allen Menschen guten Willens, seien es Christen, Muslime, Atheisten, Buddhisten. Nicht jeder ist so mutig wie Martin Luther, ich ganz bestimmt nicht. Aber das Schöne ist: Wir sind nicht alleine, wir Liebhaberinnen und Liebhaber der Freiheit. Das stärkt, das macht Mut.

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