SWR4 Sonntagsgedanken

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16OKT2022
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Ihnen allen einen guten Morgen und einen schönen Sonntag. Es ist Herbst und vielerorts danken Menschen in diesen Wochen traditionell für die Ernte. Sie bringen damit zum Ausdruck, wie reich wir von der Natur beschenkt sind und dass wir dankbar sein dürfen für das, was wir tagtäglich zum Leben haben.

Allerdings: In der gegenwärtigen Krisenstimmung fällt Vielen das Danken schwer. Ich kann das gut verstehen. Die Angst, dass alles noch teurer wird sitzt uns im Nacken, genauso die Angst vor einem Krieg oder vor unkontrollierbarer Gewalt. Oder die Sorge wie unsere Gesellschaft mit den neuen Flüchtlingsströmen umgehen kann.

Ich habe mir vorgenommen, in diesen trüben Zeiten nach Hoffnungszeichen zu suchen, nach Geschichten, nach Erfahrungen, nach Personen, die mir Mut machen und mir helfen, nicht zu resignieren. Hoffnungsgeschichten, die wieder zur Hoffnung anstiften, die aufrichten, statt noch mehr zu beunruhigen und die wirklich trösten und stärken können Eine dieser hoffnungsvollen Geschichten möchte ich Ihnen heute erzählen.

Es geht um Äpfel oder genauer gesagt um den Korbiniansapfel. Dieser hat bis zum Jahr 1985 noch einen anderen Namen getragen, nämlich: KZ-3. Grund dafür ist die bewegte Geschichte des Apfels. Denn der wurde im Konzentrationslager Dachau vom bayerischen Pfarrer Korbinian Aigner gezüchtet.

Der auch als Apfelpfarrer“ bekannte Korbinian Aigner ist nicht nur ein leidenschaftlicher Priester gewesen, er hat sich auch für die Landwirtschaft begeistert – speziell für den Apfelanbau. Und er beschäftigte sich intensiv mit politischen Themen. Nachdem er eine Rede des aufstrebenden Adolf Hitler gehört hatte begann er, sich in seinen Predigten und im Religionsunterricht aktiv gegen diese Ideen des Nationalsozialismus auszusprechen. Er wurde verraten und ins KZ Dachau gebracht. Aber genau dort, wo das Verbrechen und das Grauen an der Tagesordnung waren, ließ er sich die Hoffnung nicht nehmen. Zwischen den Baracken pflanzte er Apfelbäume und schaffte es, vier vielversprechende Apfelsorten zu züchten. Er nannte sie KZ-1, KZ-2, KZ-3 und KZ-4. Die Sorte KZ-3 hat überlebt, es gibt sie bis heute. Und 1985 wurde sie zu Ehren von Korbinian Aigner in den Korbiniansapfel“ umbenannt. Dieser Pfarrer hat sich nicht unterkriegen lassen. Mit jeder Pflanze setzte er ein Zeichen der Hoffnung. Sein Wille, das Grauen zu bestehen war stärker als seine Angst.

Möglicherweise kommt Ihnen jetzt einer der bekanntesten und häufig zitierten Sätze in den Sinn, der Martin Luther zugeschrieben wird, „Wenn ich wüsste, dass morgen die Welt unterginge, würde ich heute noch ein Apfelbäumchen pflanzen“. Das klingt nicht nach Weltuntergang und Bange machen. Es ist ein Trotziges “jetzt erst recht“. Es ist mir nicht wichtig, ob Martin Luther diesen Satz so gesagt hat oder nicht. Für mich ist entscheidend, dass immer wieder Menschen genau so leben: Entschlossen und furchtlos packen sie an - und fangen, wie Korbinian Aigner, dort an, wo alle Hoffnung verloren scheint. Leider wird von ihnen in den Tagesnachrichten wenig berichtet, weil die schlimmen, die verstörenden und schrecklichen Nachrichten scheinbar die interessanteren sind. Aber sie sind immer nur die halbe Wahrheit.

Gott sei Dank gibt es auch die andere Hälfte der Wahrheit. Menschen, die sich nicht zu schade sind, sich um einen kranken Nachbarn zu kümmern, andere, die ohne zu zögern, ihre Wohnung an eine ausländische Familie vermieten, Jugendliche, die sich für ihren farbigen Mannschaftskameraden stark machen, viele, die sich um den Zustand unseres Klimas sorgen und verantwortliches Handeln einfordern, und und und. Sie kennen sicher selbst solche hoffnungsvollen Zeitgenossen, lebendige Hoffnungszeichen, die sich nicht mit den Zuständen in der Welt oder in der Kirche einfach abfinden. Sie setzen sich redlich dafür ein, dass es in unserer Welt gerechter und menschlicher zugeht.

Mich stärkt es beispielsweise wenn ich höre, wie ein junger Mensch in dieser krisenhaften Zeit denkt. Gefragt was ihm Hoffnung mache, antwortet ein 11-jähriger Junge: „Wenn ich traurig oder frustriert bin, macht mir der Gedanke, eine tolle Familie, viele und gute Freunde zu haben, Hoffnung. Auch weil ich mit meinen Eltern über alle Probleme reden kann und wenn ich mit meinen Brüdern spiele und nicht alleine bin, habe ich Hoffnung.

Es tut gut, wenn man nicht allein ist. Wenn wir andere haben, die an einen denken, wenn wir für sie Zeit und ein offenes Ohr haben, wenn wir immer wieder kleine Zeichen der Zuwendung schenken. Wenn wir ermutigen oder trösten pflanzen wir immer ein wenig Hoffnung auf eine bessere und menschlichere Zeit.

Korbinian Aigner hat die schreckliche Zeit in Dachau überlebt. Ebenso wie sein Apfelbaum.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=36344
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