SWR2 Wort zum Tag

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08OKT2022
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Im Gespräch mit einer alten Frau habe ich neulich ein Wort gehört, das mich seitdem beschäftigt. Sie hat mir von ihrer „Mutter im Glauben“ erzählt, die auf einem großen Bauernhof lebte: „Da stand diese riesengroße Scheune. Halbdunkel war’s, und wir Kinder sind immer ganz nach oben geklettert, auf den Heuboden. Vom obersten Heuballen sind wir runtergesprungen. Wir sind uns richtig mutig vorgekommen. Und zugleich haben wir uns so sicher gefühlt. Danach sind wir zum Brunnen gegangen und haben dort Eimer mit Wasser gefüllt. Ab aufs Feld haben wir sie getragen, hin zu den Schafen. Wir haben uns wie echte Hirten gefühlt – was sind wir stolz gewesen! Danach sind wir schnell zum Mittagessen ins Bauernhaus meiner Tante gelaufen. Auf dem Tisch hat schon die Suppe gedampft.

Und dann hat meine Tante mit uns ein Gebet gesprochen. Und angefangen zu erzählen. Von Gott, der wie ein Hirte ist. Der sich um uns Menschen kümmert wie um seine Schafe. Und dass das Leben im Glauben so ist, wie wenn man vom Heuboden springt: immer wieder aufregend, immer wieder ein Abenteuer. Ein Sprung, bei dem man nicht genau weiß, wo man landet. Aber man spürt, dass man gut aufgefangen wird. Von Gott.“

Die alte Frau erzählt weiter: „So ein Gebet und so ein Gespräch war etwas ganz Neues für mich. Ich komme aus einer kirchenfernen Familie. Bei uns wurde nicht gebetet. Aber wir durften im Urlaub zu meiner Tante fahren, und die hat dann mit uns gebetet. Meine Tante hatte ja keine eigenen Kinder. Doch durch die Urlaube bei ihr wurden wir so etwas wie ihre Kinder. Ihre Glaubens-Kinder, Kinder im Glauben. Als es dann bei ihr ans Sterben ging, habe ich mich ausdrücklich bei ihr bedankt. Dafür, dass sie meine Mutter im Glauben gewesen ist. Ja, sie war eine der wichtigsten Personen in meinem Leben“, hat die alte Frau gesagt.

Mich hat diese Erzählung der alten Frau ins Nachdenken gebracht.  Ich frage mich: Wer sind meine Mütter und Väter im Glauben? Menschen, die nicht meine leiblichen Eltern sind und auch nicht von Berufs wegen zu Vorbildern wurden, wie etwa mein Pfarrer. Menschen, durch die ich gemerkt habe: Das ist ja aufregend mit dem Christentum. Oder tröstlich. Oder hilfreich.

Wer ist das bei mir gewesen? Der größere Jugendliche, der damals am Lagerfeuer in der Konfirmandenzeit von Gott erzählt hat? Die ältere Nachbarin, die mich auf dem Weg zurück von der Kirche immer so freundlich gegrüßt hat?

Ich nehme mir vor, heute Abend an einen oder zwei von ihnen zu denken. Und mich bei ihnen zu melden, wenn ich ihre Adressen noch habe. Um mich nochmal ausdrücklich für das zu bedanken, was sie für mich geworden sind: Eltern im Glauben.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=36300
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