SWR Kultur Wort zum Tag

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25AUG2022
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Diese letzten Tage im August lassen schon ein wenig das Ende des Sommers erahnen. Die Blätter der Bäume sind nicht mehr frisch und jung wie im Frühling, ein feiner Staub hat sich auf sie gelegt, den auch ein gelegentlicher Schauer nicht mehr abwischen kann. Die Adern der Blätter treten stärker hervor. Mir scheint, selbst der Wald ist ein wenig müde geworden. Es wird noch warme Tage geben, doch der Herbst steht schon vor der Tür. Der Altweibersommer ist nicht mehr fern.

Wie war mein Sommer? Habe ich mir Zeit genommen, die warmen Sonnenstrahlen auszukosten? Konnte ich an manchen Tagen einfach nur da sein, in die Sonne blinzeln, die Gedanken schweifen, mir Haut und Seele wärmen lassen? Träge kann ein Sommertag sein, schläfrig und genießerisch, auch ein wenig faul. Wenn es heiß ist, fällt es schwer zu arbeiten, jede Bewegung ist schweißtreibend und mühsam. Meine Kräfte, das zeigt mir ein heißer Sommertag sehr deutlich, sind beschränkt. Dafür sind die Tage lang und der Sommer gönnt laue Abende mit herrlichen Sonnenuntergängen. Es ist wunderschön, am Rhein zu sitzen und zuzuschauen, wie die Sonne über meiner Stadt Mainz untergeht und ihre Strahlen die Fenster im Domturm zum Glühen bringen, so als ob Gott selbst ein Licht anzünden und schließlich wieder löschen würde. Gott, „Dein Abendrot führt mich in Weiten, ich ahne meine Zeit“, heißt es in einem Gebet. Meine Zeit, das zeigt mir der vergehende Sommer, ist eine kostbare, begrenzte Zeit.


Mir scheint, den Sinn meines Lebens werde ich nicht im Spiegel finden, auch nicht im Spiegel, den mir andere Menschen vorhalten. Ich meine, der Sinn des Lebens erschließt sich in der Dankbarkeit für das Leben. Es ist so wenig selbstverständlich, leben zu dürfen. Glücklich der Mensch, der dafür dankbar sein kann. Ich persönlich entdecke für meine Dankbarkeit auch ein Gegenüber. Meine schönen und meine verregneten Sommer, meine faulen und meine schaffensfrohen Tage - ich nehme sie aus der Hand meines Gottes entgegen, dessen Abendrot mich meine Zeit erahnen lässt. Doch Gott schenkt mir nicht nur meine Sommertage, er schenkt mir auch Gelassenheit meinen verregneten Tagen gegenüber, Geduld mit den Menschen, die mit mir die Jahreszeiten meines Lebens teilen, und zuletzt, als größtes Geschenk, die Freude darüber, dass ich lebe, dass ich all diese wunderschönen, heißen und kalten Sommertage auskosten und genießen darf.

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