SWR4 Sonntagsgedanken

SWR4 Sonntagsgedanken

31JUL2022
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Endlich Sommerferien! Große Ferien. Sechseinhalb Wochen lang. In dieser Zeit verändert sich mein Rhythmus. Ich mache weniger, und ich mache langsamer, was ich mache. Das fühlt sich gut an. Ich hab zwar nicht in den ganzen Sommerferien Urlaub. Aber auch in den übrigen Wochen tickt die Uhr bei mir anders. Weniger Termine, weniger Gespräche. Viele Treffen sind allein schon deshalb nicht möglich, weil immer die eine oder der andere gerade weg ist. Ich genieße dieses „Weniger“ sehr. Um durchzuschnaufen, nachzudenken, um zu lesen und meine Gedanken so zu ordnen, dass es hinterher wieder richtig losgehen kann. Nur manchmal denke ich mir: Warum muss es das eigentlich? Es könnte doch auch so bleiben, so ferienhaft. Wenn ich mir dann überlege, warum das nicht geht, weshalb unsere Welt und das Leben darin so anders konstruiert ist, lande ich unweigerlich irgendwann bei Adam und Eva. Und zwar nicht nur im sprichwörtlichen Sinn. Ich komme zu der biblischen Erzählung, die den Anfang von allem beschreibt.

Warum? Es muss etwas damit zu tun haben, dass die ersten Menschen aus dem Paradies vertrieben worden sind. Dort – so stelle ich mir das vor – war immer eine Art Ferien. Keiner brauchte zu arbeiten, jeder hatte, was er brauchte. Es gab gar nichts anderes. Wie anders ist es bei uns, wo es so oft ganz und gar nicht paradiesisch zugeht. Es herrscht keine Balance zwischen denen, die so viel haben, dass sie geben könnten, und denen, die Not leiden. Es geht ungerecht zu. Wir vergleichen uns und reagieren eifersüchtig, wenn wir etwas nicht haben, was andere haben. Und manches Mal überkommt uns die Gier: Mehr und nochmal mehr. Höher, größer, schneller – und das oft genug auf Kosten anderer.

Von einem Paradies ist da wenig zu sehen. Wenn es das jemals gegeben hat. Aber davon muss ich ausgehen, solange ich an Gott glaube. Ich setze voraus, dass Gott einen guten Plan hat mit seiner Schöpfung. Ja, dass er es so, wie er es gemacht hat, aus Liebe gemacht hat. Weil das doch alles in allem der rote Faden ist, wenn wir die Erfahrungen zusammennehmen, die sich in der Bibel finden: Gott ist Liebe. Und er liebt seine Geschöpfe. Nur dass ihm der Mensch offenbar in die Quere kam. Die Krone seiner Schöpfung. Mit Freiheit ausgestattet. Frei sich zu entscheiden zwischen Gut und Böse. Davon erzählt die Bibel am Anfang: Der Mensch ist frei. Er hat die Wahl. Und er entscheidet sich zu oft falsch. Er denkt zu viel an sich, vergisst seine Grenzen. Das katapultiert ihn regelrecht aus dem Urzustand. Wo er mit sich und Gott und der übrigen Schöpfung im Einklang war. Quasi: Eine immerwährende Ferienzeit. Wie ganz zu Beginn bei Adam und Eva im Paradies.

Ich lebe nicht mehr im Paradies. Keiner von uns tut das. Ich weiß aber, dass ich da hinwill. Ich spüre die Sehnsucht nach einem Zustand, in dem alles gut ist. Und jetzt, in der Ferienzeit, wird diese Sehnsucht neu angefacht. Darüber spreche ich heute in den SWR4-Sonntagsgedanken.

Die Bibel lässt keinen Zweifel daran, weshalb so vieles aus dem Ruder läuft auf unserer Welt; woran es liegt, dass wir immer mehr in Schwierigkeiten geraten: Kain, der seinen Bruder aus Eifersucht erschlägt; weil er argwöhnt, Gott könnte Abel mehr lieben als ihn. Noah musste mit ansehen, dass die Welt untergeht; weil es so böse auf ihr zugeht und die Gewalt unter den Menschen überhandgenommen hatte. Und schließlich der hohe Turm in Babylon. Sinnbild, dass der Mensch zu hoch hinauswill. Er rastet aus, macht sich zu seinem eigenen Gott. Und die Welt gerät aus den Fugen.

Was die Bibel erzählt, ist bis heute an der Tagesordnung. Das sind keine alten Geschichten. In ihnen steckt eine tiefe Wahrheit. Es hat mit uns zu tun, mit den Nachfahren von Kain und Abel, Adam und Eva, dass das Klima auf unserem Planeten kollabiert. Wir leben maßlos und fallen in Sünde. So nennt die Bibel das. Ich weiß, das ist keine frohe Botschaft, es baut nicht auf. Und es klingt schon gar nicht nach schönen Ferien. Aber es ist wichtig, die Wahrheit zur Kenntnis zu nehmen, wenn man sich selbst besser verstehen will, und damit die Welt, wie sie durch uns als Menschen geworden ist. Im laufenden Betrieb klappt das meistens schlecht. Wenn alles schnell gehen und funktionieren soll. Dann sind wir wie ein Hamster im Laufrad, der nicht zur Ruhe kommt. Aber jetzt, in den Ferien, jetzt könnte es dazu immer mal eine günstige Gelegenheit geben.

Ich hetze nicht und fahre langsamer mit dem Auto. Ans Ziel komme ich genauso und bin nicht so angespannt. Wenn ich merke, dass es klappt, geht das nach den Ferien hoffentlich auch.

Ich denke darüber nach, mit wem ich in den letzten Monaten einen Konflikt hatte. Das passiert im Eifer des Gefechts und bleibt dann liegen. In den Ferien überlege ich mir, wie ich mich entschuldigen kann, und plane, wie wir das gemeinsam aus dem Weg räumen.

Ich frage mich so kritisch wie möglich, wo ich neidisch war wie Kain und maßlos wie die Turmbauer zu Babel. Und nehme mir vor, dass mir das im Alltag nicht mehr passiert. Wenn das funktioniert, war’s am Ende gar nicht anstrengend, sondern schön. Weil da eine Ahnung vom Paradies drinsteckt. Und die zu bekommen, dazu sind für mich Ferien eben auch da.  

https://www.kirche-im-swr.de/?m=35895
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