SWR2 Wort zum Tag

SWR2 Wort zum Tag

13JUL2022
AnhörenDownload
DruckenAutor*in

Trottellummen sind bezaubernde kleine Vögel. Schwarz mit weißer Brust, 15 Zentimeter groß. Fast ihr ganzes Leben verbringen sie draußen auf dem Meer. Außer, wenn sie Junge bekommen. Dann kommen sie nach Helgoland. Dort nisten sie auf den winzigen Vorsprüngen einer Felswand und brüten ihre Eier aus.

Vor vier Wochen war ich dort und habe sie mit eigenen Augen gesehen.  Es war schon spät, gegen 22 Uhr. Hoch im Norden ist es noch hell, aber auch hier beginnt die Sonne, langsam unterzugehen. Ich wandere auf der Hochebene im hinteren Inselteil. Dort liegt der berühmte Vogelfelsen.  Eine Felsformation, an der die Hochebene abbricht. Blanker, roter Fels, 60 Meter geht es steil hinunter, und unten direkt das Meer. In diesem Felsen, und um ihn herum Vögel, tausende von Vögeln. Kreischende Möwen ziehen ihre Kreise über mir, eine flattert direkt vor meine Füße und schaut mich neugierig an.

Aber die eigentliche Sensation dieses Vogelfelsens sind die Trottellummen. Bei den Küken kommt drei Wochen nach dem Schlüpfen ihr großer Tag: der Tag des Lummensprungs. Die kleinen Lummen müssen ins Meer, um dort ihr Fressen selbst zu besorgen. Aber sie können noch nicht fliegen. Daher müssen sie springen – 40 Meter tief, von ihrem kleinen Felsvorsprung direkt ins Meer. – Neben dem kleinen Lummen steht die Mutter und feuert es an. Unten im Wasser schwimmt der Vater, schaut nach oben und ermuntert das Junge mit seinen Rufen zu springen. Verständlicherweise zögert das Kleine, geht zwar einen halben Schritt vor und schaut nach unten, traut sich aber nicht.  Dann nimmt es allen Mut zusammen – und springt. Raus aus seiner Kinderstube, rein ins neue Leben. Der Vater, ganz stolz, nimmt es unten in Empfang und zeigt ihm, wie das geht: sich selbst zu versorgen.

Ich sehe den Lummensprung und denke mir: So ist das auch bei uns Menschen – auch wir müssen manchmal ganz schön große Sprünge machen. Hinein in die Freiheit, in ein neues Leben. Ich habe selbst erfahren, dass Gott mir den Mut gibt, so zu springen. Und dass Gott mir Menschen zur Seite stellt, die dabei helfen. Als ich aus dem Norden hierher nach Süddeutschland gezogen bin. Erst kannte ich hier fast niemanden, und nun freue ich mich an so vielen Freunden und Bekannten.

Ich frage mich: Welcher Mensch braucht heute meine Ermutigung, um selbst loszuspringen? Oder welchen Menschen muss ich in Empfang nehmen und ihn loben, weil er einen großen Sprung hinter sich hat?

https://www.kirche-im-swr.de/?m=35740
weiterlesen...