SWR2 Wort zum Tag

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11JUL2022
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Was kann ich als evangelischer Pfarrer im 21. Jahrhundert von einem Revolutionär lernen, der vor eintausendsechshundert Jahren gelebt hat? Der Mann, um den es geht, heißt Benedikt. Einsam und abgeschottet hat er gelebt. Weil er gedacht hat, dass er sich so am besten auf Gott konzentrieren kann. Mönch ist er geworden und hat allein in einem italienischen Tal gelebt. Aber dann hat er gemerkt, dass er etwas Neues sucht in seinem Leben, etwas Anderes. Er sammelt Gefährten um sich und beginnt, mit ihnen zusammen das Leben zu teilen. Er gründet das erste Kloster. Damit entwickelt er die Form des Mönchtums, die das Abendland über anderthalb Jahrtausende prägt. Denn nun leben die Mönche zusammen, sie beten zusammen, sie arbeiten zusammen. Damit wird Benedikt zum vielleicht einflussreichsten Mönch des ganzen Abendlandes, und heute ist sein Gedenktag.

Aber wie bekommen die Mönche das gut hin? Zusammenleben und arbeiten, und doch auf Gott hin ausgerichtet bleiben? Dafür entwickelt Benedikt grundlegende Regeln. Mich fasziniert eine kleine Formulierung in dieser Ordensregel ganz besonders. Sie zeigt mir, wie aktuell die Regel auch für mich als Protestanten des 21. Jahrhunderts ist. Benedikt schreibt: Wenn die Glocke erklingt und es Zeit für das Gebet ist, dann soll man „in größter Eile“ zum Stundengebet gehen.

Die Glocke erklingt, und der Mönch im Garten gießt nicht einmal mehr die Blumen zu Ende. Er stellt einfach die Gießkanne ab und macht sich auf den Weg in die Kirche. Ein Briefe-schreibender Mönch beendet kaum noch den Satz, den er gerade angefangen hat. Er schraubt nur den Deckel auf den Füller und geht „in größter Eile“ zum Beten.

Was mich dabei fasziniert: Die Mönche lassen sich unterbrechen – sich selbst und ihre Arbeit. Wenn die Glocke erklingt, dann ist anderes wichtiger als ich selbst. Anderes ist wichtiger als meine Tätigkeit hier auf der Erde. Wie wohltuend ist das in einer Gesellschaft, in der ich selbst so sehr im Mittelpunkt stehe! Wie wohltuend in einer Gesellschaft, die das Arbeiten so wichtig nimmt!

Und ich überlege mir, wie ich diesen Impuls aufnehmen kann. Wie kann ich mich in meinem Alltag unterbrechen lassen? Ich will es einmal ausprobieren:  Ich stelle die Weckerfunktion in meinem Smartphone genau auf 12h. Egal, was ich dann gerade mache – wenn der Wecker klingelt, lege ich meinen Füller zur Seite oder meine Gießkanne. Ich falte die Hände und schaue kurz zum Himmel auf. Und dann danke ich Gott genau für diesen Moment.   

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