Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

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04JUN2022
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Mich hat eine Trauerfeier letzte Woche nicht losgelassen. Wir haben uns von einer Freundin verabschiedet. In der großen Kirche hatte sich eine kleine Schar von Trauergästen versammelt.

Dabei war auch eine Arbeitskollegin. Sie hat von der gemeinsamen Arbeitszeit erzählt, und wie ihr die Verstorbene in schwierigen Zeiten geholfen hat. Hat an Ausflüge und gemeinsame Erlebnisse erinnert. Sie hat erzählt: Die beiden waren gemeinsam im Theater und sind danach ausgeraubt worden. Zum Glück, so erzählt es die Arbeitskollegin, hatten sie fast nichts dabei. Und der Raub war irgendwann eine Geschichte, die die beiden eng verbunden hat. Aber fast alle anderen Gäste kannten diese Geschichte nicht.

Mir ist klar geworden: Alles das, was da erzählt wird, zeigt nur einen Ausschnitt. Wirft ein Licht auf ein paar ausgewählte Situationen eines Lebens. Das ganze Leben? Den ganzen Menschen? Den kriege ich auch am Ende eines Lebens nicht in den Blick. So viel ist passiert, so viel geschehen und von dem meisten habe ich gar keine Ahnung. Wenn ich Abschied von einem Menschen nehme, dann muss ich mir auch eingestehen: der andere bleibt mir letztlich ein Rätsel. Auch dann, wenn ich ihn gut gekannt habe. Ich weiß oft nur bruchstückhaft, was den anderen bewegt, was ihn traurig gemacht hat und was diesen Menschen glücklich sein ließ. Die Geschichte mit dem Raubüberfall etwa, die kenne ich jetzt - aber ich weiß auch: viele andere Geschichten bleiben unerzählt.

Die Trauerfeier hat mir noch eins gezeigt: Auch wenn ich nicht alles weiß, ich habe doch mit dem einen oder anderen Erlebnis Teil gehabt am Leben meiner Freundin. Und Leben teilen, das merke ich, tut gut. Über den Tod hinaus.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=35512
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