SWR2 Zum Feiertag

SWR2 Zum Feiertag

26MAI2022
AnhörenDownload
DruckenAutor*in

Karoline Rittberger-Klas im Gespräch mit Diakon Olaf Hofmann

Rittberger-Klas: Raus ins Grüne – das scheint an diesem Feiertag im Mai die allgemeine Devise zu sein. Die einen machen sich mit dem Bollerwagen auf zum Vatertagsausflug. In den Kirchen wird heute Christi Himmelfahrt gefeiert – aber sehr viele Gemeinden verlegen ihre Gottesdienste ins Freie oder ziehen bei der traditionellen Öschprozession über die Felder. Gefeiert wird auf Bergen und an Seen, im Wald und auf der Wiese. Während in den Kirchen oft viele Plätze frei bleiben, werden Gottesdienste im Grünen immer beliebter. Ist Gott draußen leichter zu finden als in der Kirche? Darüber spreche ich heute mit Olaf Hofmann. Er ist Diakon und Autor und ermöglicht spirituelle Erfahrungen in der Natur.
Herr Hofmann, warum zieht es viele Menschen eher zu einem Gottesdienst im Freien als in der Kirche?

Hofmann: Na, wenn das Wetter sehr schön ist, beantwortet sich die Frage von allein. Aber es ist auch die Frische – vor allem nach Corona: frische Luft, die Weite, der Blick in den Himmel. Also, es setzt einfach neue Akzente, öffnet den Horizont. Und ich meine, ganz ehrlich: einen Hund kann ich auch dort mitnehmen, das ist was Besonderes. Und auch für Familien ist es viel freundlicher.

Rittberger-Klas: Das stimmt, deshalb gibt es Gottesdienste im Grünen auch schon lange, das ist nichts Neues. Aber inzwischen gibt es aber unter dem Stichwort „Kirche im Grünen“ noch viel mehr zu erleben. Es gibt Angebote wie die geistliche begleitete Wanderung für Trauernde, es gibt Pilgerwege mit Lamas für die ganze Familie bis hin zur spirituellen Kräuterwanderung im Nationalpark Schwarzwald. Wohin und mit wem machen Sie sich als nächstes auf einen spirituellen Weg oder haben sich als letztes auf einen spirituellen Weg gemacht?

Hofmann: Na, die nächste Tour ist eine Solotour, da bin ich mit mir als Mann allein unterwegs von Oslo nach Trondheim. Ich habe jetzt vor endlich mal den „Olavsleden“ zu laufen, den Olavsweg. Also ich heiße ja auch Olaf… Das ist ein langer Pilgerweg im Norden, über 600 km, und ich werde da einen ganzen Monat unterwegs sein. Und um mich auf diese Solotour vorzubereiten, war ich letzte Woche im Schwarzwald mit einigen Männern unterwegs.

Rittberger-Klas: Was haben Sie da erlebt mit den Männern? Und was hat das mit Gott zu tun?

Hofmann: Also, ausgeschrieben war es im Prospekt für „Kirche im Nationalpark“ und die Überschrift war „Grenzgänger für Männer“ und da haben sich acht angemeldet, vierzig Jahre aufwärts, und wir waren zwei Nächte und drei Tage unterwegs, tagsüber viel gelaufen, ausgepowert, und nachts unter Sternen im Freien genächtigt. Das eigentliche waren, glaube ich, zwei Dinge: Das Lagerfeuer am Abend, die Gespräche, und als ich dann die Frage gestellt habe, ob sie Lust haben, am nächsten Morgen den Sonnenaufgang auf der Hornisgrinde zu erleben, da haben sie gesagt: Aber natürlich, das ist eine einmalige Möglichkeit. Und dieses Zusammenpacken, halb müde noch, im Lager – es war kein Mond, es war dunkel, wir mussten Taschenlampen benutzen – der Schweiß des Aufstiegs, wir ja unsere Matten, Schlafsack, Gepäck und alles dabei, und dann den Sonnenaufgang als goldenen Moment zu erleben, auf der Anhöhe, auf dem Schwarzwald, und den Blick ins Land hinein zu haben – ich glaube, das berührt, jedes Männerherz.

Rittberger-Klas: Und was ist abends am Lagerfeuer passiert? Sie sagen, das war auch nochmal ein besonderer Moment?

Hofmann:Naja, da wird das Leben unter die Füße genommen, da kommen Themen auf wie Partnerschaft, gescheiterte Beziehungen, Träume, Sehnsüchte. Es wird berichtet, dass jemand eine Diagnose bekommen hat, die ihn aus den Schuhen kippt. Und die Männer teilen das auf eine Weise, wo Gemeinschaft auf Zeit entsteht, getragen sein. Aber manchmal ist es auch einfach schon total hilfreich, es aussprechen zu können, auf der Du-Ebene – Feuer verbindet – und man merkt: Ich bin gar nicht so allein mit meinen Themen, andere haben Ähnliches. Und dadurch entsteht so ein Wir-Gefühl. Und dieses Wir trägt. Und ab und an kommt dann auch so ein göttlicher Lichtfunke rein, in dem man merkt: Ja, super, dass es das gibt, danke! Demut kommt auch oft vor, dass man sagt: Toll, was ich schon alles erleben konnte. Dieser Erfahrungsaustausch ist das, was draußen möglich ist – und in einem geschlossenen Raum, da bin ich fest überzeugt, würde ich das nicht erleben.

Rittberger-Klas: Ihre etwas außergewöhnlichen Programme, so wie diese Draußennächte, die bieten Sie ja trotzdem auch bewusst im Rahmen der „Kirche im Grünen“ an. Und ich frage mich, ob Sie manchmal auch so ein bisschen Gegenwind dafür bekommen, für diese Art, Spiritualität und Glauben zu vermitteln? Ob Leute fragen: Geht da nicht das spezifisch Christliche verloren, wenn man sich einfach so in der Natur seinen Gefühlen hingibt? Und gerade in der evangelischen Kirche gibt es ja traditionell eher ein Misstrauen gegenüber der Gotteserkenntnis in der Natur. Johanes Calvin hat einmal gesagt: Man kann Gott nur in der Schöpfung erkennen, wenn man die Bibel als Brille hat, die einem zeigt, was man da finden kann und sehen kann. Bekommen Sie solche Kritik? Und wie gehen Sie damit um?

Hofmann: Also, ich empfinde mehr Zuspruch. Und würde mir jemand das antworten, würde ich sagen: Also ich bin ja mit meinen Sinnesorganen auf die Welt gekommen, Nase, Ohren, eben auch die Augen. Und normalerweise funktionieren die. Und ich kann ganz gut sehen und spüren, wie der Schöpfer quasi im Wald seine Arbeit tut. Und die Brille ist ja das Hilfsmittel, um das eine oder andere besser zu verstehen. Und natürlich, wenn ich die Bibel gelesen habe oder einen Teil davon in mir trage, in Erinnerungen an Psalmen: Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln… Da werden ja Bilder benutzt von Wiese, Wasser, Bergen, das sind ja alles Bilder aus der Natur. Wenn ich nie draußen war, werde ich diese Bilder nicht verstehen können. Also, für mich ist es umgekehrt: Erst wer draußen war und das richtig geschmeckt und gesehen und gefühlt hat, der kann das eine oder andere Bild aus der Bibel verstehen, zum Beispiel der gute Hirte. Ich komme gerade von der Alb, da ist die Wanderschäferei zu Gast – ich habe erst da richtig kapiert, als ich einen Sonntag mit einem Schäfer drei Stunden einfach in der Wiese saß und den Schafe zugeschaut habe. Das wollte ich nicht missen, und das ist für mich gelebter Gottesdienst im Grünen.

Rittberger-Klas: Wenn wir über Schöpfung reden, Schöpfung erleben, kommt natürlich auch ein anderes Thema mit rein: Wir Menschen sind Teil der Schöpfung und abhängig von ihrem empfindlichen Gleichgewicht. Und das ist inzwischen ja zum Überlebensthema der Menschheit geworden. Verändern die spirituellen Erlebnisse in der Natur das Bewusstsein dafür bei Menschen – oder, kritisch gefragt, dient das, was Sie machen, doch eher der individuellen Wellness?

Hofmann:Das eine schließt ja das andere nicht aus. Im Gegenteil: Wenn ich draußen etwas erfahre – nur was ich kenne, kann ich schützen! Das ist so ein pädagogischer Spruch. Deswegen ist es wichtig, vielen Menschen die Faszination der Natur nahe zu bringen: tags und nachts, bei Sonne, bei Regen… Ich spreche auch gerne von: „gesommert“ und „gewintert“. Und wenn ich dabei noch meine Seele aufhelle, wenn dadurch noch gesund – oder gesünder – leben kann und vielleicht auch ein klein wenig glücklicher nach Hause komme – denn Natur macht nun mal gesund, gelassen und glücklich – und ich als Christ sage: gesegnet – dann komme ich nach Hause und werde ich alles dafür tun, dass es da draußen weiter so schön blühen und grünen kann, und meinen Lebensstil dementsprechend anpassen. Deshalb hängt das ganz eng zusammen.

Rittberger-Klas: Eine Gemeinsamkeit von geistlichen Angeboten in der Natur ist das Aufbrechen aus der gewohnten Umgebung, das Rausgehen, das Unterwegssein, auch die Unbehaustheit, das Ungeschützt. Damit kehrt der christliche Glaube ja ein Stück zu seinen Wurzeln zurück – zum wandernden Gottesvolk Israel, zum Wanderprediger Jesus...

Hofmann: Ja, auf jeden Fall. Ich denke, wenn ich draußen bin, bin ich meinem Gott viel näher, als wenn ich drinnen bin. Und mir gefällt dieser Spruch: Vögel singen nicht in Höhlen. Also, mein Loblied findet im Freien statt. Es gibt ja den Spruch: Du kannst nicht tiefer fallen als in Gottes Hand. Und ich habe den ein klein wenig abgewandelt auf meine Lebenssituation und formuliere das gerne so: Du kannst nicht tiefer fallen als in deine Wanderschuhe – und egal, wo du hingehst, Gott ist schon da!

Rittberger-Klas: Ein Gott, der unterwegs ist und überall erfahrbar– das schließt in gewisser Weise den Kreis zum Himmelfahrtstag. Der auferstandene Jesus, so wird es in der Bibel erzählt, verlässt seine Jünger – und gleichzeitig sagt er ihnen: „Ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende“. Wo spüren Sie selbst das am stärksten – diese Gegenwart? In welchem Wort und an welchem Ort?

Hofmann: Ich bin sehr oft umgezogen, habe unterschiedlichste Menschen und Kulturen kennen gelernt. Und dort, wo ich zuhause bin, ist immer, wenn ich in den Himmel blicke und nachts vor allem die Sterne sehe. Die ähneln sich überall auf dieser Welt, deswegen bin ich überall in meinem Gott geborgen und zuhause, egal, wo ich gerade bin. Und diese Geborgenheit begleitet mich – geborgen im Glauben an jedem Ort auf dieser Welt, mit dem Wissen, dass ich getragen bin, dass ich geliebt bin und dass ich ein Bestandteil dieser herrlichen Schöpfung sein darf. Das macht mich glücklich.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=35472
weiterlesen...