Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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23MAI2022
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An den leeren Regalen im Supermarkt hängen jetzt häufig mal Zettel: „Bitte kaufen Sie Öl nur in haushaltsüblichen Mengen“, oder: „Wir rechnen auch längerfristig nicht mit Versorgungsengpässen.“ Besonders gut meint es die Betriebsleiterin des kleinen Dorfladens: Sie hat im leeren Weizenmehlregal Rezepte ausgelegt, wie man auch mit Vollkorn- oder Dinkelmehl leckere Kuchen und Brot backen kann. Alles ohne Erfolg: Die Zettel bleiben hängen und die Regale leer.

Der Drang, in Krisenzeiten Vorräte anzulegen, scheint etwas zutiefst Menschliches zu sein. Das war schon in biblischen Zeiten so. Da wird erzählt, wie Mose sich und das Volk Israel aus der Sklaverei befreit. Ihre Flucht ist spektakulär - und trotzdem schmeckt die Freiheit schon bald nicht mehr so süß, wie sie sich das erträumt hatten. Denn in der Wüste, wo es sie hin verschlagen hat, gibt es überhaupt nichts zu beißen. Und so wächst die Unzufriedenheit und manche sind kurz davor, wieder umzukehren. Da mischt Gott sich ein. Durch Mose lässt er ausrichten, dass er selbst nun für Nahrung sorgen wird. Es wird Brot vom Himmel regnen. Aber auch Gott heftet an sein Versprechen zwei Zettel: Gesammelt werden soll nur in haushaltsüblichen Mengen, für einen Tagesbedarf. Und Lieferengpässe wird es nicht geben. Jeden Tag wird Gott frisches Brot backen. Am nächsten Morgen liegen tatsächlich Dutzende kleiner Brötchen auf der Erde. Sie schmecken knusprig und köstlich wie Honigsemmeln. Die Zettel, die Gott an seine Tüten geheftet hat, liest keiner mehr: Alle raffen zusammen, was sie kriegen können. Niemand blickt nach links oder rechts - Hauptsache, ich komme nicht zu kurz! Und wer weiß, ob es morgen wieder was gibt. Wer einmal Hunger erlitten hat, so richtig bohrenden Hunger, der einen an nichts anderes mehr denken lässt als an Essbares, kann wohl nicht anders. Aber es nützt gar nichts: Denn alles, was gehamstert und bevorratet wurde, ist am Abend verdorben und ungenießbar geworden. Erst mit der Zeit wächst bei den Leuten das Vertrauen in Gottes Fürsorge: Jeden Tag gibt es nun Manna, das Wunderbrot. 

Wir leben nicht in der Wüste, sondern in einem Land, in dem Milch und Honig fließen. So hätten es jedenfalls die biblischen Wüstensammler ausgedrückt, die noch jahrzehntelang von der Hand in den Mund leben mussten. Wir leiden keinen Hunger. Erst recht dürfen wir andern ruhig auch etwas gönnen. Es braucht nur ein bisschen Vertrauen.

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