SWR2 Lied zum Sonntag

SWR2 Lied zum Sonntag

08MAI2022
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Was eine Mutter zur Mutter macht …? Das ist nicht leicht zu beantworten. Auch heute am Muttertag nicht. Die traditionellen Rollenmuster lösen sich zunehmend auf. Wir gendern, damit Frauen nicht vergessen werden, wenn wir sprechen. Wir bemühen uns, dass Frauen gleich berechtigt sind. Und dass uns das in der katholischen Kirche nicht gut gelingt, ärgert viele. Gut so. Trotzdem: Gibt es etwas, dass besonders die Frauen charakterisiert, die gerade ein Kind zur Welt gebracht haben?

Neugeborene weinen oft, und nicht immer weiß man genau warum. Oft hilft nur der Busen der Mutter. Ihr nah zu sein, ihre Wärme zu spüren, das beruhigt - und tröstet. Der Prophet Jesaja macht sich das zu eigen, wenn er Gott sagen lässt: Ich will euch trösten, wie einen seine Mutter tröstet. Dorthin kann der Mensch flüchten: zu Gott. Wenn es ihm schlecht geht, wenn er verzweifelt ist, wenn er gar nicht so recht weiß, was ihm das Leben schwer macht. Wie sich das anfühlt, fasst Johannes Brahms in bezaubernde Töne.

Einen Menschen zu trösten, das bedeutet: zärtlich zu sein, streicheln, Wärme spüren lassen. Wenn eine Mutter ihr Kind tröstet, dann nimmt sie es in die Arme. Solange, bis es nicht mehr weh tut, was passiert ist. Sei’s, weil man hingefallen ist oder weil andere gemein zu einem waren. Trost lässt sich nicht gut in Worte fassen. Zumindest hatte ich immer den Eindruck, dass meine Worte nicht weit reichen, wenn ich einem traurigen Menschen begegnet bin. Aber einfach dasitzen und den Schmerz mit aushalten, das war tröstlich und hat meinem Gegenüber gut getan.

Johannes Brahms weiß, wann man Trost besonders braucht. Nämlich dann, wenn ein Mensch gestorben ist, den man lieb hatte. Deshalb ist das Trösten das Leitmotiv in seinem Deutschen Requiem. Ihm ist die Musik des heutigen Lieds zum Sonntag entnommen. Wer traurig ist, soll getröstet werden. So beginnt sein Oratorium über den Tod, und immer wieder geht es um diese Wendung - auch hier im fünften Teil: Ihr habt nun Traurigkeit; aber ich will euch wiedersehen, und euer Herz soll sich freuen, und eure Freude soll niemand von euch nehmen (Johannes 16,22).

Brahms hat diesen Teil seines Requiems über den Trost der Mutter ganz zuletzt komponiert, als das Werk schon so gut wie fertig war. Vielleicht weil kurz zuvor seine Mutter gestorben war und er auf seine Weise versucht hat, ihren Tod zu verarbeiten. Die feine Art, wie er Trauer und Trost musikalisch ineinander webt, wie der Chor mit seinen Einwürfen immer wieder auf die Sopranstimme reagiert, das vermittelt etwas von dem, was Trost bedeutet. Und wie sehr das mit den Müttern verbunden ist.

Heute ist Muttertag. Ihnen ist das heutige Lied zum Sonntag gewidmet. Dankbar. Dass sie viel aushalten, geduldig sind, zärtlich, von Liebe erfüllt. Und dass wir in ihnen etwas von Gott und seiner Liebe zu uns erkennen.

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Brahms, Johannes | Ein deutsches Requiem op.45
Julia Borchert, Sopran | Michael Volle, Bariton
Kammerchor Stuttgart
Klassische Philharmonie Stuttgart
Frieder Bernius

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