Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

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02APR2022
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Während ich am Gepäckband auf meinen Koffer warte, beobachte ich einen kleinen Knirps. Ich glaube, er hat vor nicht langer Zeit grade laufen gelernt. Jetzt steht er ganz fasziniert da: schaut, wie die Koffer und Taschen vorbeigleiten und klatscht jedes Gepäckstück ab. Doch plötzlich spürt er, dass er ganz alleine ist, mitten unter vielen fremden Menschen. Er schaut sich nach seiner Mutter um und kann sie nicht finden. So geht er los, wie blind. Ich spüre ihm ab wie langsam die Verzweiflung und Angst in ihm hochsteigen. Mit jedem Schritt sucht sich sein Gefühl einen Ausdruck: Er hebt langsam den Arm und streckt die Hand aus, als ob er in einem dunklen Keller wär, und dann kommt sein Klage-Ruf! Mamaaaaaaaaa

Seine Mama hatte ihn unterdessen nicht aus den Augen gelassen. Ganz ruhig geht sie auf ihn zu, bleibt 3 Meter vor ihm stehen und streckt ihrerseits ihre Hände aus, bereit, ihn hochzuheben. Noch einige tapsige Schritte, und der kleine Mann findet sich auf dem Arm seiner Mutter wieder und atmet ihre Wärme und Nähe ein.

Irgendwie beneide ich den kleinen Jungen. Denn ich kenne das auch, mich alleine und verloren zu fühlen. Dann schaue ich mich um und frage mich: Wo ist mein Halt, meine Sicherheit? Wer hilft mir? Kann mich mal einer in den Arm nehmen? Kann ich mich bitte mal ausheulen.

Der kleine Junge kann ganz unverstellt zeigen, wie er sich fühlt. Als erwachsener Mensch traue ich mich das nicht, diese Schwäche, diese Gefühle zuzugeben, und dann auch noch zu äußern. Ich muss stark sein, leistungsfähig, unabhängig. So habe ich es gelernt.

Ich denke mir: Gott schmunzelt über mich. Warum lässt du dir nicht helfen? Ich bin doch da! Komm, ich will dich trösten!

Der Kleine am Gepäckband erinnert mich, dass ich bei Gott Angst haben darf, dass ich Heimweh haben darf, dass ich verwirrt sein darf und ratlos. Ich darf mich mal verlaufen und manchmal zu weit gehen.
Denn so ist er: Wie ein Papa, wie eine Mama. Die mich nicht aus den Augen lässt. Und die nicht schimpft und mich zurechtweist und mich auch nicht auslacht. Sondern meine Tränen abwischt.

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