Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

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27SEP2021
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Gott, wo bist du in der Katastrophe? In der Flutnacht, als wir fast unser ganzes Hab und Gut verloren haben, habe ich auf diese Frage keine Antwort. In den Tagen danach habe ich aber eine Spur gefunden.

Als sich das Wasser am Tag nach der Flut zurückzieht, gehe ich vorsichtig in unser Erdgeschoss und werfe einen ersten Blick in unsere Wohnung: Nichts ist mehr an seinem Platz, alles ist durcheinandergewirbelt, durchweicht, von braunem Schlamm überzogen, kaputt.

Aber mit dem großen Schmerz über den Verlust kommt fast gleichzeitig etwas anderes: Ungeahnte Hilfe von so vielen Seiten.

Es fängt mit der Frage an: Wo finden wir jetzt eine Bleibe? Unsere syrischen Freunde, denen wir 2015 bei der Integration hier in Deutschland geholfen hatten, zögern nicht und nehmen uns spontan bei sich auf. Dann kommen die ersten Nachfragen aus dem Bekanntenkreis: Wie geht es euch? Seid ihr betroffen? Braucht ihr Hilfe? Auch sie zögern nicht und fassen mit an. Gabi bringt auch noch Brötchen und Würstchen mit. Zwei Nachbarn aus dem Heimatdorf meiner Frau kommen mit einem Transporter voller Werkzeug und erster Spenden und blieben eine Woche. Andi hat gar nicht erst gefragt, sondern steht einfach mit Notstromaggregat, Benzinkanistern, Akkuscheinwerfern plötzlich vor der Tür. Er hat gewusst was wir brauchen.

Ich erinnere mich besonders auch an zwei junge Männer, die eines morgens vorbeikommen und sich als Schreiner vorstellen. Innerhalb von einer Stunde verschließen sie zwei geborstene Fensterscheiben und schreinern eine provisorische Holztür für den Keller. Sie gehen mit den Worten: „Schlüssel steckt! Wir ziehen weiter.“ Es gibt ungezählte solcher Hilfsgeschichten. Auch andere Betroffene erzählen davon. Ohne diese Hilfe hätten wir es nicht geschafft. Nicht nur die viele Arbeit nicht. Sondern auch seelisch hätten wir diese Katastrophe kaum verkraftet.  

Gott wo bist Du in der Katastrophe? Ich habe erfahren: Dort, wo Nächstenliebe geschieht. Dort wo Menschen einander beistehen in der Not – da ist Gott spürbar. Mitten in der Katastrophe.

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