Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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19JUN2021
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„Bäume sind Heiligtümer. Wer mit ihnen zu sprechen weiß, ihnen zuzuhören weiß, der erfährt die Wahrheit“. Das hat Hermann Hesse gesagt. Und dabei steht mir als erstes der Olivenbaum vor Augen. So mancher hat vielleicht ein kleines Exemplar auf seinem Balkon oder der Terrasse stehen. Und hoffentlich ist es auch bald wieder möglich, ihn dort zu sehen wo er heimisch ist, in einem der Länder rund um das Mittelmeer.
Im alten Griechenland galt der Olivenbaum als heilig. Selbst seinem Besitzer war es verboten, ihn zu fällen. Vermutlich auch, weil er so nützlich ist. Seit 6000 Jahren dient er dem Menschen als Nutzpflanze. Er wächst langsam, wie so vieles Gutes, wird Hunderte von Jahre alt. Die ältesten in Griechenland und Spanien sollen 2000 Jahre alt sein, einer auf Kreta gar 3000. Vielleicht werden Olivenbäume auch deshalb so alt, weil sie so anpassungsfähig sind. In lockeren Böden nehmen sie das Wasser durch bis zu 7 Meter tiefen Wurzeln auf. In trockenen, steinigen Böden verzweigen sich die Wurzeln und bilden Netzwerke in nur einem Meter Tiefe. Erst nach 5 bis 10 Jahren trägt der Olivenbaum Früchte. Dann aber jahrhundertelang. Das vielleicht auch, weil er seine kostbaren Früchte nur alle zwei Jahre trägt. Gesunde Köstlichkeiten. Als Speiseöl gut für das Herz-Kreislaufsystem, als Hautöl in Pflegeprodukten. Kein Wunder dass dieser Baum auch ein Symbol ist, ja eine Quelle der „Wahrheit“, wie Hesse es gesagt hat.

In der Bibel ist der Ölzweig ein Symbol für Frieden und Neuanfang. Zum Beispiel in der Taube, die nach der Sintflut einen Ölzweig im Schnabel hat. Oder das Olivenöl als Zeichen der Erhabenheit und Würde, mit dem im Alten Testament die Könige gesalbt wurden. Und heute noch die Kinder bei der Taufe. Weil nach christlichem Glauben jedes Neugeborene ein König oder eine Königin ist. Wollte ich nun von diesem wunderbaren, knorrigen Baum etwas lernen, dann dies: er gibt viel bei eigener Genügsamkeit. Er ist beständig und treu. Gleichzeitig anpassungsfähig. Selbst in höchstem Alter gibt er noch Frucht. Vielleicht weil er sie Zeit seines Lebens nicht wie am Fließband geliefert hat, sondern mit Auszeiten, im Wechsel von Wachsen und Ruhen. Das dann aber für lange Zeit. Für die dieses Wunderwerk der Schöpfung auch steht: sichtbar gewordene, erfüllte Zeit…

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