Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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„Wo bleibst du, Trost der ganzen Welt?“, ein Adventslied fragt so.
Die alten Adventslieder haben’ s schon in sich. Mit ihren wehmütigen Melodien und ihren großen Sehnsüchten.
„Trost für die ganze Welt“ – ich frage mich, wie das wohl im Kleinen aussieht, im persönlichen Leben? Wie eigentlich kommt Gottes Trost in ein trauriges Herz?

Der Dichter Theodor Fontane erzählt so eine sehr persönliche Trostgeschichte.
Sie handelt von Melanie, einer jungen Frau, die nach langer Zeit einmal wieder das Bedürfnis hat, einen Gottesdienst zu besuchen. Es geht ihr nicht gut, denn irgendetwas, so spürt sie deutlich, liegt zwischen ihr und ihrem Mann. Aber keiner von beiden wagt ein offenes Wort.
In ihrer Sorge wird ein Abendgottesdienst in einer abgelegenen Kirche zu ihrem Zufluchtsort.

Die Kirche ist dunkel, nur von ein paar Kerzen beleuchtet. Es erscheint ein kleiner Mann auf der Kanzel. Er spricht kurz und einfach und wirkt dabei selbst nur müde und angegriffen.
„Und so kam es“, schreibt Fontane, „dass sie nichts Rechtes für ihr Herz finden konnte, bis es zuletzt hieß: ‚Und nun … wollen wir den vorletzten Vers unseres ... Liedes singen.’.
Und in demselben Augenblick summte wieder die Orgel und zitterte, wie wenn sie sich erst ein Herz fassen oder einen Anlauf nehmen müsse, und als es voll und mächtig klang, rückten zwei kleine Mädchen an Melanie heran und gaben ihr das Gesangbuch und zeigten auf die Stelle und sie sang mit: ‚Du lebst, du bist in Nacht mein Licht, mein Trost in Not und Plagen, du weißt, was alles mir gebricht, Du wirst mir’s nicht versagen’.
Irgendwie erreichte sie das und sie begann Worte zu murmeln, die ein Gebet vorstellen sollten und es vor dem Ohr dessen, der die Regungen unseres Herzens hört, auch wohl waren, und
sie verließ die Kirche so still, wie sie gekommen war.“
Wenn man das liest, könnte man meinen, es hat sich nichts verändert. Aber Fontane erzählt, wie es weiter geht:
Zu Hause angekommen, wird Melanie von ihrem Mann gefragt: „Du warst fort?“
… „Ja, in der Stadt … In der Kirche.“
„In der Kirche! Was hast du da gesucht?“
„Trost“, sagt sie.
Und auf einmal ist das Eis zwischen den beiden gebrochen und nach langer Zeit können sie endlich wieder miteinander reden.

Eine schöne, eine sehr persönliche Geschichte, finde ich.
Sie erzählt davon, wie Trost sich über ein altes Kirchenlied ins Herz der Frau geschlichen hat.
Und daß getröstet werden bedeutet, daß einem das Herz weich wird und daß man nicht mehr so starr oder so stur ist und daß man anfangen kann von dem zu reden, was einem Kummer macht.
Advent heißt - Gott tröstet. Und manchmal, da tröstet Gott so, daß wir in Situationen kommen, in denen unser Herz so weich wird, daß wir nicht mehr so weiter machen wollen wie bisher. Weil wir den Mut haben zu einem Neuanfang.


(Theodor Fontane, L’ Adultera, in: Ausgewählte Werke, Frankfurt a.M., 1964)
https://www.kirche-im-swr.de/?m=319
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