Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW
Lange habe ich gedacht: Ich muss meine Mutter erziehen. Sie dahin bewegen, dass sie sich verändert, und wir uns dann weniger in die Haare kriegen. Gerade so wie sie das immer und immer wieder mit mir versucht hat, auch als ich schon längst erwachsen und aus dem Haus war. Dass wir uns gestritten haben und in vielem nicht einer Meinung waren, fand ich in Ordnung. Aber es war auch anstrengend. Zumal es für mich um etwas Grundlegendes dabei ging: Wie bin ich in den Augen meiner Mutter ein guter Sohn? Diese Frage stand immer im Raum. Und ich habe sie zu beantworten versucht, indem ich meiner Mutter die Frage verbieten wollte. Das klingt vielleicht paradox, aber ich hab mir gedacht: Wenn sie mich erziehen will, dann versuch ich das umgekehrt genauso. Wenn sie einen anderen aus mir machen will, dann hab ich das gleiche Recht. Nur hat das natürlich nicht funktioniert. Im Gegenteil: Je mehr wir uns so ineinander verkantet hatten, desto schwieriger wurde unser Miteinander.
Heute ist das Gott sei Dank anders. Und ich weiß auch wieso. Wir haben es aufgegeben, den anderen zu dem Sohn, der Mutter machen zu wollen, die wir uns vorgestellt/gewünscht hatten. Wir „basteln“ nicht mehr am anderen herum, sondern haben akzeptiert, dass es da auch Verhaltensweisen und Charaktermerkmale gibt, die sich nicht ändern werden, auch wenn sie uns (nach wie vor) nicht gefallen. Ich denke, wir haben im Laufe der Jahre verstanden: Wenn wir nicht aneinandergeraten wollen, dann müssen wir etwas bei uns selbst ändern. Zum Beispiel, wie wir auf eine Sache reagieren, die uns immer geärgert hat. Meistens geht es ohnehin nicht um Weltbewegendes. Meine Mutter zum Beispiel braucht viel Sicherheit, sonst wird sie unruhig und macht alle um sie herum verrückt. Ihr dieses Gefühl von Sicherheit nicht zu geben, hat immer nur zum Gegenteil geführt: Noch mehr Aufregung! Also zeige ich ihr unter allen Umständen, dass sie sich auf mich verlassen kann. Das ist meistens ganz einfach. Es erfordert von mir nur eine kleine Änderung in meinem Verhalten und schon geht es besser. Ohne dass ich mich dabei verbiegen oder mein „Ich“ aufgeben müsste.
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