Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

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„Liebe dein Mutterherz, solange es lebt. Denn wenn es gestorben ist, ist es zu spät.“
Steht in meinem Poesiealbum. In Schönschrift, verziert mit Herzchen und Blümchen. Kinderhandschrift. Beim Aufräumen fiel es mir in die Hand. Und ich erinnere mich: Den Spruch mochte ich schon als Kind nicht.

Diesen Appell ans schlechte Gewissen! Liebe dein Mutterherz. Als ob man Liebe verordnen könnte! Haben etwa Mütter einen Anspruch auf die Liebe ihrer Kinder, einfach nur, weil sie Mütter sind!

Ich kenne eine Frau, die pflegt seit vielen Jahren ihre kranke Mutter. Sie opfert sich auf, ist selber krank. Asthma, Rückenschmerzen, dauernd was anderes. Die Mutter nimmt die Dienste ihrer Tochter als selbstverständlich, als hätte sie sie verdient. Und ich erfahre indirekt: Das war schon immer so. Herrisch und lieblos - behandelte sie die Tochter wie ihr Eigentum.

Wie sie das aushält, frage ich sie. „Man muss doch seine Eltern lieben“, sagt sie. „das steht schon in der Bibel, das 4. Gebot: Du sollst Vater und Mutter ehren.“ Dabei hätte sie schon manchmal auch eine Wut auf ihre Mutter, aber die muss man halt unterdrücken. „Wirklich?“ frage ich, „muss man das?“

Ich kann mir das nicht vorstellen. Das passt nicht zu dem, was ich sonst von Gott glaube. Das wäre ja schlimm, das 4. Gebot, wenn man es so verstehen würde. Da bliebe kein Platz für den Zorn auf jene Eltern, die ihre Kinder wirklich schlecht behandeln

Und überhaupt: Es steht gar nicht in der Bibel, dass wir unsere Eltern lieben sollen. Im 4. Gebot steht nur was von „ehren“. Und wenn wir uns den hebräischen Urtext mal genauer ansehen, dann müssen wir ihn so übersetzen: „Achte darauf, dass deine Eltern im Alter versorgt sind, genug zu essen haben und ein Dach über dem Kopf.“ Das wars. Mehr steht da nicht! Du musst dein Mutterherz nicht lieben, wenn du nicht kannst. Denn Liebe kann dir niemand befehlen, auch Gott nicht. Und er tut das auch nicht.

Das habe ich jener Frau mit der hartherzigen Mutter gesagt. Sie war überrascht und auch etwas erleichtert. Wut auf die Mutter darf sein. Denn es gibt manchmal auch gute Gründe dafür. Und wenn sein darf, was nun mal so ist, dann kommt vielleicht die Liebe zurück -ganz von selbst.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=3040
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