SWR4 Sonntagsgedanken

SWR4 Sonntagsgedanken

Mein Opa hatte nur eine Wange im Gesicht. Die andere ist ihm weggeschossen worden. Mein Opa war nämlich Soldat. Damals, im Ersten Weltkrieg, 14/18, erst an der Front in Belgien und dann drei Jahre im Lazarett. Vielleicht hat er den Krieg nur deswegen überlebt, konnte meine Oma heiraten und eine Familie gründen. Sein zerschossenes Gesicht hat ihn sein ganzes Leben lang an die schlimme Kriegszeit erinnert. Und wir Enkelkinder haben gesehen, was dieser Erste Weltkrieg den Menschen angetan hat.

Mein Opa ist schon lange tot. So wie es ja kaum noch Zeitzeuge aus jener Zeit gibt. Und der Erste Weltkrieg ist seit hundert Jahren vorbei. Trotzdem finde ich es wichtig, an die Opfer auch dieses Krieges zu denken. So, wie das heute am Volkstrauertag überall getan wird.

Zurückschauen und Erinnern sind wichtig. Auch Jesus hat davon erzählt. Eines Tages, hat er gesagt, wird auch Gott nochmal auf die Weltgeschichte zurückschauen. Alles, was da gewesen ist, kommt also nochmal auf den Tisch. Und Gott wird dabei besonders darauf achten, wies den Kranken ergangen ist, den Fremden, den Hungernden. Diejenigen, die sich darum gekümmert haben, die werden gut wegkommen, die haben vor Gottes Urteil Bestand, hat Jesus erzählt. Und die, denen die Kranken und Hungernden egal gewesen sind, die werden endlich kapieren, was sie damit angerichtet haben. Die können vor Gott nicht bestehen. „Was ihr für einen von den Ärmsten und Geringsten getan habt, das habt ihr für mich getan.“ Ist Jesus überzeugt.

Gottes große Rückschau auf die Weltgeschichte. Ich hoffe, dass es so kommt. Vor allem wegen der Menschen, denen diese Geschichte übel mitgespielt hat. Die Regierungen hatten keine bessere Lösung gefunden für die Konflikte zwischen ihren Ländern. Und Menschen wie mein Opa, die mussten ihren Kopf hinhalten. Fremd, hungrig und nackt sind sie gewesen, die Soldaten in ihren Schützengräben, Kanonenfutter, ganz gleich in welcher Uniform. Krank, hungrig und ausgezehrt auch die Zivilbevölkerung.

Ich glaube, es ist gut, daran zu denken, auch, weil man dabei etwas über Gott erfährt. Jesus hat doch gesagt: In den Kranken, Hungrigen und Armen zeigt sich Gott. Wenn Gott sich wirklich in den Ärmsten und Geringsten zu erkennen gibt, dann ist Gott gewissermaßen auch bei den Kriegsopfern, millionenfach verhungert, verblutet, abgeschossen. Gott an der Seite von den vielen, vielen Kriegsopfern, nicht nur im Ersten Weltkrieg. Und eben nicht an der Seite von denen, die um jeden Preis die Stärkeren sein wollten und gewinnen wollen. Ich glaube „im Namen Gottes“ können keine Kriege geführt werden. Und wer wirklich vor Gott Bestand haben will, der muss andere Wege gehen.

Erinnern ist ein wichtiger Schritt, um dem Frieden näher zu kommen. Vor einigen Tagen haben auch der französische Präsident Macron und Bundeskanzlerin Merkel gemeinsam an das Ende des Ersten Weltkriegs erinnert. Für mich ist es sehr bewegend, welchen Akzent der französische Präsident dabei gesetzt hat. Für ihn ist das Ende der Grande Guerre, des Großen Krieges, kein Anlass mehr, den „Sieg über den verbrecherischen Hochmut des deutschen Reiches“ zu feiern. So steht es ja auf dem Gedenkstein im Wald von Compiègne, wo das Ende des Ersten Weltkrieges besiegelt worden ist. Als sich die beiden Staats- und Regierungschefs vor einer Woche dort getroffen haben, ist dieser Stein abgedeckt worden, habe ich gelesen.

Also nicht mehr: Hier die Sieger, dort die Besiegten. Hier das Recht, dort das Unrecht. Hier die Guten, dort die Bösen. Das kann man sicher auch benennen. Ja. Aber wer nur so rechnet, glaube ich, der kommt nicht voran. Wer nur nachrechnet, abrechnet, gegeneinander aufrechnet, der bleibt in der Erinnerung stecken und findet nicht zu neuen Wegen aufeinander zu.

So verstehe ich, was Jesus von Gott erzählt hat. Wenn Gott irgendwann einmal Rückschau hält auf das, was gewesen ist, dann geht es nicht um abrechnen und aufrechnen. Gott schaut vielmehr darauf, was ein Mensch für andere getan hat. „Was ihr einem von den Ärmsten und Geringsten getan, habt, das habt ihr mir getan..“ Hat Jesus gesagt. Was für eine Ermutigung für die, die genau das tun! Ich denke an die junge Frau aus unserer Gemeinde, die ihren Freiwilligendienst in einer Kirchengemeinde in Rumänien macht. Und an einen unserer Konfirmanden, der sich bei der Jugendfeuerwehr ausbilden lässt. Jeder kann etwas für andere tun, glaube ich. Auch mein Beitrag ist wichtig, und wenn es gar nicht viel ist. Und die Politik kann auch was tun. Wie gut wäre es, wenn sich die europäischen Staaten endlich zu einer gemeinsamen Flüchtlingshilfe durchringen könnten. Wenn sie mit einer Stimme reden würden, wenn es um Menschenrechtsverletzungen geht. Ich vertraue darauf, dass man mit Gottes Beistand rechnen kann, wenn man – wie Gott – an die denkt, denen es nicht gut geht.

Gott steht an der Seite der Schwachen und an der Seite von denen, die sich darum bemühen, dass die Schwachen zu ihrem Recht kommen. Grad am Volkstrauertag möchte ich daran denken.

Ich wünsche Ihnen einen besinnlichen und friedlichen Sonntag, kommen Sie gut durch die neue Woche und bleiben Sie behütet

https://www.kirche-im-swr.de/?m=27608
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