SWR1 Begegnungen

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Einen gesegneten 1. Adventssonntag wünsche ich Ihnen. Ich bin Roland Spur von der Evangelischen Kirche und möchte Ihnen Bernhard Leube vorstellen. Er kennt sich so gut aus mit Kirchenliedern, dass er als Pfarrer auch Professor ist, Lehrer für Liturgik an der Hochschule für Kirchenmusik in Tübingen. Und er liebt die Welt seines Kirchen-Gesangbuchs.


Ich steh auf diese altbekannten Sachen, weil ich gemerkt habe im Lauf der Jahre, dass die nicht umzubringen sind, dass die jedes Mal, wenn ich noch mal neu drangehe, gibt das immer noch mal irgendwelche Facetten, irgendwelche Aspekte, irgendwelche Dinge, die diese Lieder abwerfen.
Und die entpuppen sich als so eine Art innere Landschaft, in der man spazieren gehen kann,
und das Licht ist immer wieder anders und neu. Und man singt das ja auch anders.


Teil 1
Mit dem ersten Advent beginnt ein neues Kirchenjahr. Ja: „Kirchenjahr“ – die Uhren in den Kirchen gehen etwas anders. Da beginnt heute schon eine neue Zeitrechnung. Deshalb habe ich einen Fachmann fürs Kirchenjahr besucht, Bernhard Leube. Er ist 53, verheiratet, hat drei Kinder zwischen 22 und 12 Jahren. Und er ist Pfarrer.

Ich bin kein ganz normaler Pfarrer, weil ich keine Gemeindearbeit zur Zeit habe, aber ich arbeite als Pfarrer in der Ausbildung bei den Kirchenmusikern an der Hochschule für Kirchenmusik in Tübingen, auch bei den Kirchenmusikstudierenden in Stuttgart bin ich unterwegs und unterrichte die.

Aber was sollen die Kirchenmusiker eigentlich von ihm lernen, außer richtig und schön zu musizieren?

Die müssen lernen, wie man mit den Leuten singt, und wie man Lieder so aufschließen kann, dass das Resonanz gibt. Nicht nur in den Köpfen, sondern eben auch in den Herzen Resonanz gibt.

Klingt schön: Resonanz. Ob er selbst auch uns das mal zeigen kann? Am besten an einem Beispiel, das jetzt aktuell ist, so dass wir das auch verstehen; nicht nur Kirchenmusikstudenten.
„Kein Problem“, sagt Bernhard Leube, und setzt sich, während er so weiterredet, ans Klavier.

Ich singe relativ oft mit Gruppen, oder in Gemeinden, wenn ich unterwegs bin.
Und dann singen die immer zum Beispiel so:

»Es kommt ein Schiff geladen,
bis an sein' höchsten Bord,
trägt Gottes Sohn voll Gnaden,
des Vaters ewigs Wort«.


Klingt doch klasse, denke ich: flüssig, nicht zäh. Weder schleppend noch schläfrig.
Beschwingt. Wunderbar! „Aber“, sagt mir Bernhard Leube,...

… Wenn ich das so singe, ist der Clou, der in der Melodie vor allem drin steckt, verraten! Oder nicht wahrgenommen. Das ist nicht schwer zu zeigen: Dass wir am Anfang eine tänzerische Struktur haben und hinten raus das ganz Gerade liegt. Weil es so gesungen gehört:

»Es kommt ein Schiff geladen bis an sein höchsten Bord...«


Ein hörbarer Unterschied: die zweite Hälfte der Strophe ruhiger gesungen. Keine Laune,
keine Willkür – dafür gibt das Lied selbst einen Grund an. Aha, es gibt also zwei Ebenen, lerne ich.

„Es kommt ein Schiff geladen“ – das kann man sehen. Aber: „Trägt Gottes Sohn voll Gnaden“ – das kann man nicht sehen: Das ist eine Glaubensaussage. Und da muss ich mir Zeit lassen. Da müssen die Noten länger werden. Sonst gehen diese Worte nicht auf. … Das Bild des Schiffes – mit dem Bild bin ich nicht fertig. Mit dem bin ich zwanzig Jahren nicht fertig!

Teil 2
Weihnachtsmärkte allerorten. Rituale der Einkaufs-City, könnte man sagen – „Alles klar: alle Jahre wieder.“ – Oder: kann man da doch was Neues entdecken? Was soll, was will die Adventszeit?

Die Adventszeit ist ja eigentlich immer eine Vorbereitungszeit gewesen, und in den früheren Zeiten sogar eine Bußzeit. Also eine Zeit, in der man gerade mit den sonstigen Aktivitäten eher sich zurückgenommen hat. Reduziert hat. Innehalten! Man sagt bis heute immer wieder: Advent ist eine besinnliche Zeit. Aber wir steigern ja eher unsere Tätigkeiten, rennen herum wie die Verrückten in Geschäften auf den letzten Drücker noch irgendwelche Geschenk... usw. und der Advent? Es ist ganz schwer, eine Besinnlichkeit reinzukriegen.

Besinnlichkeit und schöne Stimmung im Advent! Wie denn? Wir können ja nicht einfach die Augen zu machen und so tun, als spürten wir was von der schönen, heilen Welt. Ein Blick in die Medien zeigt, wie viel Verzweiflung, Elend und Gewalt es auf der Welt gibt.

Und Ungerechtigkeit usw., ja ich glaube, das ist sicher so. Ich meine auch, der Advent, die Adventszeit ist eigentlich die Zeit, in der wir unsere Sehnsucht feiern. Und ich finde, ganz viele Lieder sind ideale Instrumente, genau das zu tun: unsere Sehnsucht zu feiern.

Schöne Formulierung! Ja, stimmt. Wir haben Sehnsüchte. Wir haben es vielleicht aufgegeben, sie zu formulieren, weil wir immer wieder frustriert und enttäuscht werden.

Aber ich glaube, wenn wir unsere Sehnsucht nicht mehr formulieren, dann kippen wir in Sucht ab. Das ist nicht nur Alkoholismus. Das kann Kaufsucht sein oder ich weiß nicht was… Diese Betriebsamkeit hat ja auch etwas Betäubendes. Das wir uns das nicht zugestehen mehr: „Wonach sehnen wir uns eigentlich?“

Gut, also: „Besinnlichkeit reinkriegen“. Mit Musik?
Wie macht er es, wie macht’s die Familie Leube im Advent, wo beide Eltern berufstätig sind?

Da spielen für mich dann zum Beispiel solche Momente in der Familie nach wie vor eine ganz entscheidende Rolle. Dass wir uns – eben auch bei uns, wenn die Tage knallvoll sind! – abends, und wenn’s nur zehn Minuten sind, Zeit nehmen. Und dann sitzen wir hier, und singen zwei Lieder. Und einer liest was vor. Und dann ist gut.

Und die Kinder? Sehen die denn das auch so?

Der nächsten Generation muss man zugestehen, dass sie zeitenweise auch auf solche alten Sachen nicht so viel Bock hat. Mir fällt immer noch so etwas ganz Witziges ein. Unser Ältester, jetzt groß, studiert, der hat als kleiner, dreijähriger Kerl beim Adventssingen in der Familie immer bei dem Lied »Nun komm, der Heiden Heiland« die zweite Strophe, ganz hochtheologisch: »Er ging aus der Kammer sein, dem königlichen Saal so rein...« – und der hatte da mit drei, vier Jahren so eine Ritterphase mit Holzschwertern immer schwer gekämpft – und der hat da immer gesungen »Es ging aus der Kammer sein der königliche Samurai«. Weil er damit was anfangen konnte! Und das gehört für mich auch zu solchem kindlichem Singen. Und das ist okay! Ich werde den Teufel tun, das zu korrigieren. Damit war er dabei.

Das ist nicht nur witzig – das hat wirklich Witz! Denn mit seinem „Samurai“ liegt der Sohn von Leubes auch theologisch ganz richtig: der kommende Messias, das ist ja ein Gott-Held, wie es bei Jesaja heißt: „Auf dass seine Herrschaft groß werde und des Friedens kein Ende auf dem Thron Davids und in seinem Königreich, dass er’s stärke und stütze durch Recht und Gerechtigkeit
von nun an bis in Ewigkeit.“ [Jesaja 9,5.6]https://www.kirche-im-swr.de/?m=2669
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