SWR4 Sonntagsgedanken

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In dem Dorf, in dem ich lebe, gibt es noch einen Schäfer. Ich schätze mal, rund zweihundert Schafe hat er. Mit ihnen beweidet er die Wiesen rund ums Dorf. Vor allem die steilen und die mit den alten Obstbäumen, die sonst nicht mehr gemäht würden. Ich schaue ihm gerne zu, wenn er mit seinen Schafen von einem Weideplatz zum nächsten zieht. Weil mich das an ein altes Bild aus der Bibel erinnert. Das Bild vom guten Hirten, der für seine Schafe sorgt. In den Gottesdiensten in den evangelischen Kirchen wird heute darüber gepredigt.

Psychologen sagen nämlich, dass das Bild vom guten Hirten, der für seine Schafe sorgt, eine Tiefenschicht habe. Es sei ein Urbild für die Sehnsucht von Menschen nach Geborgenheit. Wir Menschen wollen frei entscheiden können, was wir tun und was wir lassen. Was wir denken und was wir glauben. Was wir für richtig halten und wofür wir uns einsetzen. Aber zugleich brauchen wir das Gefühl, dass wir, etwas altmodisch gesagt, gehalten und getragen sind. Ein Urvertrauen, aus dem heraus wir leben können. Für dieses Urvertrauen steht das Bild vom guten Hirten, der für seine Schafe sorgt. Der Gott, von dem die Bibel erzählt, ist wie ein guter Hirte. Er ist einer, der für seine Menschen sorgt. Einer, bei dem sie sich geborgen und getragen fühlen können. Der seine Schafe nicht auch allein lässt, wenn Sie Schweres durchmachen müssen. Psalm 23 beschreibt dieses Urvertrauen, Sie kennen ihn vielleicht: „Der Herr ist mein Hirte. Mir wird nichts mangeln … Und ob ich schon wanderte im finstern Tal, fürchte ich kein Unglück, denn du bist bei mir.“

Vielleicht denken Sie jetzt: Das ist doch ein ziemlich veraltetes Bild, der gute Hirte, der für seine Schafe sorgt. Ein wenig vergilbt, wie ein altes Foto. Ein bisschen sentimental, gute alte Zeit halt. Manche sagen auch, Christenmenschen sind doch keine Herdentiere. Die haben ihren eigenen Kopf. Aber Schafe trotten halt hinterher, wie dumm. Freie Menschen laufen doch niemandem einfach hinterher. Die wollen selber entscheiden, haben einen eigenen Willen. Warum soll man dann dieses alte Bild vom guten Hirten, der für seine Schafe sorgt, nicht einfach in der Schachtel lassen, in der die alten Bilder aufbewahrt sind?
Aber manchmal tut mir das gut, wenn ich spüren kann, es wird für mich gesorgt. Und manchmal bin ich auch vielleicht auch wie der Hirte in diesem Bild.

Ich  glaube, dass das ganz gut beschreibt, was mich als Menschen eben auch ausmacht. Wie jeder Mensch habe ich doch immer andere Menschen, für die ich sorge. Für die ich verantwortlich bin. Die mir anvertraut sind. Ob das die Kinder sind oder die Enkel. Oder die alten Eltern, die sich selber nicht mehr versorgen können. Die Menschen am Arbeitsplatz, für die ich als Vorgesetzter Verantwortung trage. Oder wenn ich mich für andere einsetze in einem Verein oder in der Kirchengemeinde. Da sorge ich für andere. Aber da habe ich auch Macht über andere.

Macht, meine ich, ist an sich nichts Verwerfliches. Jeder Mensch hat in einem gewissen Sinn Macht. Jeder Mensch, der in der Welt ist, wirkt durch seine Art, sein Handeln, durch das, was ihm wichtig ist. Auch durch das, was ihm an Fähigkeiten und Gaben geschenkt ist. Und übt dadurch natürlich auch Macht und Einfluss auf andere aus. Entscheidend ist allein dabei, wie ich das mache. Wie ich meine Macht gebrauche. Dass ich meine Fähigkeiten und Möglichkeiten für andere einsetze. Man kann seine Macht auch missbrauchen. Wenn ich mich nur für mich selbst einsetze und nicht für die, für die ich Verantwortung habe.

Menschen können und sollen füreinander gute Hirten sein. So beschreibt es die Bibel. Und Gott ist wie ein guter Hirte, von dem Menschen das lernen können. Füreinander Hirte sein. Ein Beispiel? In dem Dorf, in dem ich wohne, gibt es seit einigen Jahren die Wurzel. Das Wurmlinger Zentrum für Lebensqualität. Dort setzen sich viele für andere im Dorf ein. Betreiben ein Begegnungszentrum für kulturelle Zwecke und zur gegenseitigen Hilfe von Jung und Alt. Erarbeiten Konzepte, dass alte Menschen durch die Vernetzung verschiedener Dienste möglichst lange im Dorf und damit zu Hause leben können. Bringen Menschen mit ihren Talenten, Bedürfnissen und Kenntnissen zusammen. Steigern die Lebensqualität im Ort und sind für mich Hirten füreinander.

Das Bild vom guten Hirten, der für seine Schafe sorgt. Mir fällt es immer ein, wenn ich dem Schäfer aus meinem Dorf begegne. Es erinnert mich daran, dass Gott wie ein guter Hirte für mich sorgt. Und dass ich von ihm gerade das für andere Sorgen lernen kann. Da, wo ich Verantwortung für andere habe.
Ich wünsche Ihnen einen gesegneten Sonntag und eine gute Woche.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=26261
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