Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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Mit sich selbst befreundet zu sein, ist eine hohe Lebenskunst. Um diese Kunst zu beherrschen, muss ich üben. Dabei hilft mir eine Frau mit viel Lebenserfahrung. Eine Seelsorgerin. Normalerweise bereite ich mich auf Termine bei ihr vor. Kläre, was ich mit ihr besprechen will. Beim letzten Mal hatte ich dafür keine Zeit. Ich habe mich wieder einmal getrieben gefühlt und war atemlos. In dieser Verfassung mit mir befreundet zu sein, klappt nicht. So bin ich bei meiner Seelsorgerin angekommen. Gestresst, unvorbereitet und sauer auf mich.

„Sind Sie bereit für ein Experiment?“ war ihre erste Frage. Ich kenne die Frage schon. Und ich weiß auch, was dann kommt. Immer geht es darum, freundlich und liebevoll mit mir selbst zu sein. Und das beginnt damit, die Situation zunächst genau so zu nehmen wie sie ist. In diesem Fall hat das geheißen, bewusst zu erleben wie getrieben ich mich fühle und wie atemlos ich bin. Es ist erstaunlich, was dann geschehen ist. Schon nach einigen Augenblicken habe ich wieder fühlen können, dass ich mehr bin als diese Frau, die getrieben und erschöpft da sitzt. So als wäre ich aus einem engen, dunklen Raum durch eine Tür gegangen in einen anderen Raum, der grenzenlos ist, hell und still. Plötzlich konnte ich mich wieder ganz erkennen – als Frau mit einem großen Herz, engagiert in ihrem Beruf, mit Stärken und Schwächen. Ich habe Abstand gewonnen zu der gestressten Frau. Und dieser kleine Abstand hat genügt, um ruhig zu werden und mich wieder lebendig zu fühlen.

Ich nenne diesen grenzenlosen und hellen Raum meine Mitte. Ich gelange zu ihm, wenn ich Situationen genau so nehmen kann wie sie sind. Es ist ein Raum in dem ich einverstanden bin mit mir und in dem es leicht ist, mich selbst zu mögen. Es ist ein Raum, an dem ich erlebe, dass Gott in meinem Leben, in mir selbst da ist.

Gerne hätte ich immer Zugang zu diesem Raum. Bisher ist das nicht so. Immerhin weiß ich, dass es diesen Ort sicher in mir gibt. Oft finde ich alleine dorthin. Wenn mir das nicht gelingt, gibt es Menschen, die mich dabei begleiten, dort anzukommen.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=25939
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