SWR1 Begegnungen

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„Also was ich definitiv nie werden wollte, war Bestatterin.“,ist einer der ersten Sätze in unserem Gespräch. Und dieser Satz wäre nachvollziehbar, wäre die diplomierte Theologin Barbara Rolf nicht die Gründerin eines Bestattungsinstitutes; eines der ersten alternativen Bestattungsinstitute in Stuttgart.

Als Kind sah es bei Ihr in Sachen Berufswunsch allerdings noch ganz anders aus:

„Ich wollte Tierärztin werden. Dann wollt ich Tierfilmerin werden, Polizistin und Pfarrerin.“

Und zwar genau in dieser Reihenfolge. Was aber hat bei ihr dazu geführt, dass sie schließlich Bestatterin geworden ist?

 „Mein Bruder wollte Bestatter werden. Schon als 6-, 7-, 8-Jähriger hat er das formuliert. Ich fand das total abartig, hab aber seinen Wunsch durchaus ernst genommen und als ich mich beruflich orientiert hab, beim Berufsinformationszentrum, hab ich ihn mitgenommen, obwohl er noch viel zu jung war dafür. Und dann hat er so ganz süß gefragt am Tresen: ‚Gibt’s was über Bestatter?‘ Und die Frau ist so erschrocken und hat gesagt: ‚Nein, natürlich nicht! Wer kommt denn auf die Idee? Aber das war für mich sogar explizit ein Beruf, den ich für mich selber ausgeschlossen hab. Und dann hat sich just mein Bruder, als ich schon im Theologie-Studium war, das Leben genommen.

Barbara Rolfs Stimme bleibt klar, freundlich und frei von Scham, während sie vom Suizid ihres Bruders erzählt. Es scheint, als hätten gerade die Ereignisse um den Tod und das Begräbnis ihres Bruders herum, etwas in ihr wach gerüttelt:

„Wo war er zum Beispiel? Also zwischen seinem Tod und seinem Begräbnis lag etwa eine Woche und ich weiß bis heute nicht wirklich, wo sein Leichnam war in dieser Zeit. Wo war der? War der beim Bestatter im Kühlhaus? War der noch im Krankenhaus war der in der Gerichtsmedizin? Keine Ahnung! Und dann auch irgendwann die Frage: Wer hat den angefasst? Warum nicht wir?“

Ich würde gerne wissen, was sie rückblickend anders machen würde, wenn sie die Chance hätte, die Beerdigung ihres Bruders noch einmal zu gestalten:

„Also mein Bruder, der war so ein Zentrum für seine Clique, weil bei uns zu Hause durfte man trinken, bei uns zu Hause durfte man rauchen, bei uns zu Hause durfte man laute Musik hören und deswegen war so sein Zimmer eigentlich Meeting Point für seine Freunde. Die waren wahnsinnig oft da. Für mich, gefühlt, jeden Abend, aber ich glaub, so oft wars nicht. Aber das war einfach so. Und für die war dieser Todesfall, der wirklich – für uns, für ihn, für alle – aus heiterem Himmel kam, entsetzlich, natürlich. Und heute würd ich denen gerne die Möglichkeit gegeben haben, ihn zu Hause aufzubahren. Nochmal in dem Zimmer, nochmal mit Bier, nochmal mit Saufen, nochmal mit Rauchen, mit ihrer Musik […].“

Es ist wie so oft: Die richtige Frage zur richtigen Zeit – in diesem Fall vom Bestatter – hätte den Unterschied ausgemacht.

 „Aber wir wurden nicht gefragt: ‚Solls noch eine häusliche Aufbahrung geben?‘, oder so. All diese Fragen sind nie gestellt worden. Und ich glaub, seine Kumpels hätten das wahrgenommen.“

Und genau das ist es, was Barbara Rolf in ihrer Arbeit anders machen möchte. Sie will diese Fragen stellen.

Teil II:

Der Suizid ihres Bruders ist einer der Auslöser für Barbara Rolf, nach dem Theologie-Studium als Bestatterin zu arbeiten. Sie gründet ihr eigenes Bestattungsinstitut, mit dem sie ganz bewusst andere Wege beschreiten möchte. Dass es auch anders geht, erlebt Barbara Rolf zum ersten Mal bei einem alternativen Bestatter in Freiburg, bei dem sie ein Praktikum macht:

„Ich komme in dieses Institut, ich sehe die Räume, bin da eine halbe Stunde und wusste, das mache ich beruflich später.“

Es klingt fast so wie Liebe auf den ersten Blick, wären da nicht die Toten:

„Ich wusste nur noch nicht, ob ichs aushalte, weil bei den ersten Begegnungen mit Verstorbenen bin ich abgehauen. Unser erster Verstorbener war just auch noch ein Punker, ganz jung, überall gepierct und tätowiert [...]. Und vor allem mit ihm als Leiche war ich total überfordert und bin abgehauen. Aber dann über die Tage – er war dann sehr lang bei uns aufgebahrt – war eine große Annäherung. Den werd ich nie vergessen!“

Mittlerweile ist für Barbara Rolf vieles schlicht und ergreifend normal, denn der Tod:

„Das ist ja der ganz natürliche Zustand. Also auch, wenn jemand z.B. schon verwest ist oder versehrt ist durch einen Unfall oder so, dann kann ich inzwischen sehr gut damit umgehen, indem ich mir sag: Das ist ja die logische Situation bei diesen Todesumständen.“

Eine Sache geht ihr allerdings bis heute nahe:

„Also wenn jemand leidend aussieht oder wenn jemand verunfallt ist und entsetzt aussieht – das geht mir durch und durch. Also wenn man auch einem Menschen so ansieht – was aber, Gott sei Dank, sehr selten ist – dass er nicht bereit war zu sterben; das strahlen die aus, das sieht man ihnen an. Das find ich sehr schwierig. Aber das Gute ist, dass das unheimlich selten vorkommt.“

Was allerdings immer vorkommt, ist der Tod selbst. Ein Wort, das ihr recht leicht über die Lippen geht. Aber was genau ist er eigentlich: der Tod?

„Tot ist für mich schwierig zu greifen. Also, es gibt für mich den Tod, natürlich, aber ich weiß nicht, obs für mich wirklich Tote gibt. Weil für mich ist der Tod an sich nur eine Veränderung des Lebens.“

Bei ihrer Großmutter hat Barbara Rolf erlebt, wie sich ganz konkret diese „Veränderung des Lebens“ vollziehen kann. Es war, so beschreibt sie es, als wäre die Essenz Ihrer Großmutter, als wäre quasi ihre Seele auf und davon galoppiert:

„Und die hat ihren Körper wie so einen abgelegten Mantel einfach uns vor die Füße geworfen und fort war sie; also unglaublich!“

Gerade weil der Tod so endgültig ist, erlebt es Barbara Rolf ganz oft, dass die Familien ihren Verstorbenen etwas in den Sarg legen möchten:

„Da könnt ich schon ein Buch schreiben, was die Leute in den Sarg mit reingeben! Eine Dame wurde 103 und wurde noch interviewt, wie man so alt wird und dann hat sie gesagt. ‚Nicht so viel ärgern, viel lachen und jeden Tag einen Piccolo trinken.‘ Und die Angehörigen haben ihr zum Beispiel einen Piccolo mitgegeben.“

Es blitzt verschmitzt in den Augen von Barbara Rolf auf und ich denke mir im Stillen: Vielleicht ist der Tod auch nur ein armer Geselle, der sich freut, wenn er mal auf einen Menschen trifft, der ihn mit einem herzlichen Lachen und guter Laune begrüßt. Und an der Schwelle zum Jenseits einen Piccolo dabeihat.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=25292
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