SWR2 Wort zum Tag

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Wohnzimmertapeten zeigen, wie Menschen gelebt haben und noch viel mehr: Sie verraten auch, wie Menschen sich selber sehen und gesehen haben. Vor 200 Jahren zum Beispiel. Das ist mir bei einem Urlaubsbesuch im Bruchsaler Schloss aufgefallen. Denn dort findet sich in einem Raum eine Ausstattung mit Wandteppichen, die eine relativ unbekannte biblische Erzählung mit dem Leben der Bewohnerin dieser Räume verknüpfen.

Die großformatigen Wandteppiche, eine kostbare und aufwendige Handwerkskunst des Mittelalters, zeigen vier Szenen aus einer dramatischen biblischen Geschichte, in der die kluge Abigail die Hauptrolle spielt (1.Sm.25).

Es wird erzählt: Ihr Mann, der reiche Großgrundbesitzer Nabal – zu deutsch: „Narr“ - verwehrt dem mit seinem Heer umherziehenden König David die Gastfreundschaft, als dieser in darum bittet. Und das, obwohl David vorher mit seinen Soldaten Nabals Weidegründe geschützt hat. Ein Bote berichtet Abigail davon. Bevor David sich in seinem Zorn an Nabal und seiner ganzen Sippe rächen kann, geht Abigail ihm mit Brot und Wein, mit Gebratenem und Rosinen- und Feigenkuchen entgegen und bittet ihn, sie und ihre Leute zu schonen. Zugleich ermahnt sie ihn, seinen Zorn zu beherrschen und keine Blutschuld auf sich zu laden. David dankt ihr für ihr mutiges Einschreiten und dafür, dass sie ihn davor bewahrt hat, unschuldiges Blut zu vergießen. Nabal stirbt an einem Schlaganfall, als er hört, wie knapp er der Vernichtung entgangen ist. Abigail willigt ein, Davids Frau zu werden. Ihr beherztes Handeln hat einen Krieg verhindert.

Mit diesen Wandteppichen im Bruchsaler Schloss hat vor 200 Jahren Markgräfin Amalie von Baden gewohnt (1803 – 1832). Die biblische Erzählung passt zu ihr. Denn die Markgräfin Amalie war als die „Schwiegermutter Europas“ bekannt. Sie hatte durch eine kluge Heiratspolitik ihre sechs Töchter und zwei Söhne so geschickt verheiratet, dass ein familiäres Netzwerk zwischen deutschen Fürstenhöfen entstand. Es reichte bis nach Schweden und Russland. Auf diesem Weg hatte sie durchaus Einfluss auf das politische Geschehen. Denn so war das damals: Wenn sich Familien verbinden, ist das eine Art Friedenspolitik. Ländereien und Besitz werden nicht kriegerisch erobert und vermehrt, sondern gehören zur Familie.

Bilder wirken: Die dargestellte Geschichte wird mit der Bewohnerin der Räume in Verbindung gebracht. Sie zeigt etwas von ihrem Selbstverständnis, auf eine wohltuend unauffällige Weise, die im Gegensatz zu den protzigen Selbstdarstellungen vieler großer Regenten steht. Und zu der Klugheit beider Frauen, zu Abigail in der Bibel und der Markgräfin vor 200 Jahren passt. Ein schönes Urlaubsmitbringsel.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=24855
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