SWR1 Begegnungen

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„Religionsunterricht ist auch Übersetzungsarbeit!“

Ich bin mit  Veit Straßner verabredet. Wie das so geht manchmal: Man recherchiert im Internet zu einem Thema und landet plötzlich und unerwartet bei einem Sachverhalt oder Menschen, den man gar nicht auf dem Schirm hatte. So ging es mir mit Veit Straßner. Erst eine Ausbildung zum Rettungsassistenten, dann Theologie- und Politikstudium, eine Doktorarbeit über die offenen Wunden Lateinamerikas am Beispiel von Argentinien, Uruguay und Chile, zahlreiche Veröffentlichungen zum Thema Kirche und Politik in Lateinamerika.

Für jemanden, der wie ich auch Theologie und Politik studiert hat und der schon als Student Solidaritätsaktionen für unterdrückte Völker und bedrohte Menschenrechtler in Lateinamerika gestartet hat, war in dem Moment klar. Den willst du kennenlernen! 

Eigentlich wollte er Medizin studieren, erzählt er mir bei unserer Begegnung in Mainz. Doch dann begegnete er in der Warteschleife auf einen Studienplatz als Rettungssanitäter immer mehr jungen Ärzten, die ihm abrieten. 

Und dann hab ich mir überlegt, naja, was wäre ne Alternative, und ich hab mich schon immer für Themen interessiert, wo es irgendwie um große Zusammenhänge geht, und bin klassisch katholisch sozialisiert, Messdienergruppen, Gruppenleiter und so weiter und so fort, von daher war immer schon ein Interesse für Theologie und Religion da, und Politik hat mich auch interessiert, und dann, naja, hab ich mich entschieden, ein Lehramtsstudium zunächst aufzunehmen in diesem beiden Fächern Katholische Theologie und Politikwissenschaft. 

Auch das Interesse für Lateinamerika war ihm keineswegs in die Wiege gelegt. Eigentlich wollte er nach dem Zivildienst für ein halbes Jahr in einem Krankenhaus in Tansania arbeiten. Es war schon alles klar, doch dann kam von einem Tag auf den anderen die Absage aus Tansania. 

Und dann hab ich mich relativ spontan entschieden, nach Guatemala zu reisen, weil ich von jemandem gehört hatte, dass das da interessant sei und dass man dort gut Spanisch lernen könnte, und dann bin ich – aus heutiger Sicht doch relativ naiv und unbedarft – 1997 nach Guatemala geflogen ohne ein Wort Spanisch zu können und ohne das Bewusstsein dass wenige Monate vorher der Friedensvertrag unterzeichnet wurde, also dass bis wenige Monate davor noch Bürgerkrieg geherrscht hat. 

Es wurden drei schöne und prägende Monate, blickt der heute 41-Jährige zurück, von da an war er mit dem Lateinamerika-Virus infiziert, und das blieb auch während des Studiums so. 

und ich hatte Glück, hab ein Stipendium bekommen, ein Jahresstipendium, und bin dann für ein Jahr nach Chile gegangen zum Studium an die Katholische Universität dort und das war in vielerlei Hinsicht ein sehr prägendes Jahr für mich, das war von 1999 bis 2000, also die Zeit, in der Pinochet, der ehemalige Diktator, in London in Haft saß, das war sozusagen auch ein Zeit, in der die jüngste Vergangenheit des Landes nochmal sehr sehr greifbar war, unter meinen Studienkollegen war das oft Thema, in befreundeten Familien habe ich mitbekommen, dass Familienmitglieder nur noch schwer miteinander reden konnten, weil die eine Seite Pinochet positiv bewertet hat, die andere negativ 

„Ich trägt  ein gewisses Grundvertrauen!“

Veit Straßner ist seit einem Sprachkurs in Guatemala mit dem Lateinamerika-Virus infiziert, hat in Chile studiert und mittlerweile fast alle lateinamerikanischen Länder besucht. Als Lehrer an einer Gesamtschule in Ingelheim nutzt er die jeweiligen Jahresaktionen von Misereor oder Adveniat, um Gäste aus Lateinamerika in die Schule einzuladen, im Spanisch-Unterricht stellt er Bezüge zur aktuellen Entwicklung auf dem Subkontinent her.  

Und wie ist das mit der Religion in der Schule, will ich wissen, in Zeiten, in denen der religiöse Grundwasserspiegel bei jungen Leuten doch eher auf null gesunken ist. Junge Leute sind nicht kirchlich, aber an religiösen existentiellen Fragen durchaus interessiert, hat Straßner beobachtet. 

Grade im Oberstufenunterricht wird schon sehr viel und sehr kontrovers diskutiert, und da wird schon auch deutlich, welche Fragen sich Jugendliche stellen, ganz deutlich wird es bei existentiellen Themen, Tod, Sterben, oder bei Wertefragen, aber da kommt das, was Kirche zu sagen hat, oft doch auch etwas verstaubt und sperrig daher in einer Sprache, die nicht mehr die Sprache der Jugendlichen in dem Fall ist. Von daher ist Religionsunterricht ja auch viel Übersetzungsarbeit, oder wie soll ich sagen, religiöse Alphabetisierung.  

Und wenn traditionelle Lehrgebäude und althergebrachte Floskeln nicht mehr tragen, dann ist der Lehrer doch besonders gefordert, muss authentisch sein – oder? 

Ich bin zurückhaltend mit meiner eigenen Meinung, ich dränge sie nicht auf, aber es kommt sehr oft vor, dass Schüler fragen, wie sehen Sie das denn eigentlich, und dann muss ich natürlich sprachfähig sein, dann muss ich in der Lage sein, meine Position darzulegen und sie auch zu begründen und zu verteidigen 

Und was ist seine Position, was ist es, das ihm wichtig ist und trägt im Glauben? Die schlichte Antwort von Veit Straßner, der sich in unserem Gespräch als sehr reflektierter und differenziert urteilender Zeitgenosse erweist, überrascht mich zunächst einmal. Ihn trägt: 

Ja, so ein gewisses Grundvertrauen, dass wir zwar unser Bestes geben müssen, aber das am Ende nicht alles bei uns liegt und das Grundvertrauen, der Optimismus, dass am Ende es doch auch irgendwie gut wird, auch wenn s dahin vielleicht mal bisschen holpert 

Aber ist das nicht ein bisschen wenig? Will man denn als religiöser Mensch nicht nur wissen, dass es gut wird, sondern auch wie es wird? Ja, sagt Straßner, aber das führt zu nichts. 

Es gibt Bilder, die einem da vielleicht weiter helfen, die einen  inspirieren, die einen tragen, aber damit muss man sich eben begnügen. 

Über die letzten Dinge können wir nicht wirklich etwas sagen. An diese Einsicht des großen Theologen Karl Rahner muss ich denken, als ich das Gespräch mit Veit Straßner Revue passieren lasse. Und wir müssen es auch nicht, da bin ich mit ihm einig Wichtig ist es, hier und jetzt als Christ zu leben und sich einzusetzen. Der Rest ergibt sich. Das glauben wir und darauf hoffen wir.  

https://www.kirche-im-swr.de/?m=24217
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