SWR4 Sonntagsgedanken

SWR4 Sonntagsgedanken

Einen guten Morgen wünsche ich Ihnen. Ja, manchmal denke ich: wie gut, dass es Morgen wird, jeden Tag. Dass jede Nacht ein Ende hat, ganz gleich wie dunkel, wie schlaflos sie war. Wie gut, dass jeden Morgen ein neuer Tag anbricht.

Diese Erfahrung beschreibt der Journalist und Schriftsteller Jochen Klepper in einem Gedicht. Es ist zu einem der bekanntesten Lieder im Advent geworden. Mir ist es eines der liebsten. „Die Nacht ist vorgedrungen, der Tag ist nicht mehr fern. So sei nun Lob gesungen dem hellen Morgenstern. Auch wer zur Nacht geweinet, der stimme froh mit ein. Der Morgenstern bescheinet auch deine Angst und Pein.“

1937 schreibt Jochen Klepper dieses Lied. Im Frühjahr desselben Jahres erschien sein Roman „Der Vater“. Ein höchst erfolgreiches Buch, das zur Pflichtlektüre für Offiziere damals wurde. Sechs Jahre zuvor hatte er Johanna Stein geheiratet, eine Witwe jüdischen Glaubens, die zwei Töchter mit in die Ehe gebracht hat. Obwohl Johanna Stein sich taufen ließ, galt sie für die Nazis weiterhin als Jüdin. Die immer brutaler werdenden Gesetze haben auch für sie gegolten. Die ältere Stieftochter konnte zum Glück ausreisen. Aber die Situation hat sich schließlich immer mehr zugespitzt, obwohl sie miteinander versucht haben, ein irgendwie normales Leben als Familie zu führen. Ich stelle mir vor, dass es ein ständiges Hoffen und Bangen war, in dem sie lebten.

Am Morgen des 10. Dezember 1942 erfährt Jochen Klepper, dass die Genehmigung der Ausreise für seine jüngere Stieftochter endgültig abgelehnt worden war. Die Deportation in ein Konzentrationslager stand unmittelbar bevor. Was konnten sie noch tun? Um niemand anders zu gefährden, bringen sie in der Nacht an der Wohnungstür einen Zettel an: „Vorsicht Gas.“ Dann öffnen sie den Gashahn in der Küche. Und am nächsten Morgen werden sie tot gefunden, Jochen Klepper, seine Frau Hanni und deren Tochter Renate.

Es war nach langem Ringen und vielen Abwägungen der letzte Ausweg, den sie miteinander gesehen haben. Sich scheiden zu lassen von seiner jüdischen Frau, das war für Jochen Klepper keine Entscheidung, die er hätte tragen können und wollen. Er hätte sich wohl dadurch retten können, aber Hanni und Renate sicher nicht.

Das gibt es wohl, dass einer keinen anderen Ausweg sehen kann als den Tod. Aber Jochen Klepper wusste sich und seine Familie auch dann noch von Gott gehalten und getragen. Gott lässt uns nicht los, ganz gleich, wie dunkel es geworden ist um uns herum und in uns.

Wenn der Morgen gerade anfängt zu dämmern, wenn die Nacht vergeht oder schwindet: Klepper schreibt, dann kann man wieder Hoffnung schöpfen, wenn man in der Nacht kein Auge zugetan hat. Dann kann man gewiss sein, dass es wieder hell wird, auch wenn noch nichts zu sehen ist.

II.

Der Morgenstern, die Venus, ist der hellste Stern vor Sonnenaufgang. Wenn er zu sehen ist, dann weiß man sicher, dass die Nacht bald zu Ende ist. Der Morgenstern schickt schon vor Tag ein Licht auf Angst und Sorgen, die einen in der Nacht plagen können. Dass sie nicht das letzte Wort haben werden.

Jochen Klepper bringt hier seine Erfahrung zum Ausdruck: Auch wenn ich nicht mehr weiter weiß, kann ich mich daran festhalten: Gott kommt zu mir. Ich muss mich nicht vorbereiten, muss mich nicht herrichten, er kommt zu mir, wie ich bin.

Für mich ist das die Botschaft von Weihnachten. Gott kommt dahin, wo Menschen in Not sind. Wie im Stall in Bethlehem. Wie Jahrhunderte später Jochen Klepper und seine Familie. Wie manchmal auch ich. „Die Nacht ist schon im Schwinden, macht euch zum Stalle auf! Ihr sollt das Heil dort finden, das aller Zeiten Lauf von Anfang an verkündet, seit eure Schuld geschah. Nun hat sich euch verbündet, den Gott selbst ausersah.“ Ich muss nicht Angst haben, dass ich nicht recht bin. Ich muss niemandem etwas vormachen. Das ist für mich Weihnachten.

Für mich ist das Lied Jochen Kleppers deshalb so wichtig, weil es ein „Dagegen-Lied“ ist. Ja, ein Protestlied. Gegen die Erfahrung, es ändert sich doch eh nichts, steht die Erfahrung von Weihnachten. Gott kommt zur Welt, wo es ganz dunkel ist. Nicht nur die hellen Feste und die schönen Momente machen Gottes Nähe fühlbar. Er ist auch da, wo man nichts mehr spürt. Für jeden, der keinen Ausweg mehr sieht, für jeden, den die Angst niederdrückt, für jeden Armen, Vereinsamten ist Gott nahe. Sogar über den Tod hinaus. Das scheint als Licht in die Finsternis und tröstet in finsterster Nacht. „Gott will im Dunkel wohnen und hat es doch erhellt.“

Da, wo Gott Mensch wird, da wird die Welt heller. Wie im Stall in Bethlehem, wo ein Kind den Menschen das Herz erweicht hat. Wo sie Hoffnung und neue Kraft gefunden haben, weil dieses Kind ihren Beistand gebraucht hat.

Wie gut, wenn einen das anrührt. Dann kann ich vielleicht selber mithelfen, dass es ein wenig heller wird und menschlicher zugeht in der Welt. Da, wo ich lebe. Bei denen, die mir begegnen. Gott schenke es, dass auch ich sein Licht weiter tragen kann. Klepper verspricht in seinem Lied: Es „wandert nun mit allen der Stern der Gotteshuld. Beglänzt von seinem Lichte hält euch kein Dunkel mehr. Von Gottes Angesichte kam euch die Rettung her.“

Ich wünsche Ihnen einen frohen Adventssonntag und eine gute Woche.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=23285
weiterlesen...