SWR1 Begegnungen

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„Sakramente muss man spüren!“

Er ist ein Multi-Talent der besonderen Art:  Er ist  Buch-Autor, Talk-Master, Hobby-Kellner auf der Münchner Wiesn – und: Katholischer Pfarrer mitten in München. Dem 56-jährigen Priester Rainer Schießler ist nichts zu viel – rund um die  Uhr ist  er im Einsatz. Das soll auch so sein, sagt er mir, als ich ihn in München besuche.

Ich hab‘ nen  guten Hausarzt, der ist auch bereit, 24 Stunden für seine Leute da zu sein. Ich glaube, ich wäre nicht Priester, um mich zu fragen, ob das gut ist. Ich muss entscheiden, was notwendig ist. Wenn 24 Stunden notwendig sind, um meinen Dienst zu tun, dann muss ich das tun. Ich bin nicht wegen dem Geld Priester geworden, ich bin nicht Priester geworden um des Ruhmes oder der Macht willen, sondern um der Menschen willen.

Deshalb gibt es keinen Anrufbeantworter im Pfarramt St. Maximilian, sondern bei einem Anruf trifft man auf einen lebenden Menschen – meist auf Pfarrer Rainer Schießler. Er ist Priester geworden, um bei den Menschen zu sein. In den glücklichen Stunden des Lebens, aber auch dann, wenn gestorben wird und Menschen trauern.  Taufe, Hochzeit und Krankensalbung – das sind wichtige Sakramente der Kirche.  „Sakramente muss man spüren!“, sagt Pfarrer Schüßler. Wichtig ist,

…dass es keine rituellen Handlungen sein dürfen, die einfach über mich ergossen werden. Dass ein Brautpaar, das vor mir kniet, spürt, da passiert was mit uns, wir gehen da verändert raus. Dass mein Kranker spürt, und mag die Krankheit  noch so ekelhaft und noch so auszehrend sein, seine Würde nicht verliert, weil Gott sie mit ihm teilt. Das geht aber nur, wenn es eine direkte Begegnung ist, d.h. keine Angst vor Berührung, offene Sprache, nicht am Buch kleben.

Das gilt auch für die Predigt. Pfarrer Schießler ist wortgewaltig, das merke ich schnell. Die Kirche in St. Maximilian ist am Sonntag voll, wenn dort Gottesdienst gefeiert wird. Wichtig ist in besonderer Weise die Predigt.

Eine Predigt ist dann gut, wenn sie Menschen nicht kalt lässt, wenn sie etwas bewegt. Oder anders gesagt: Eine Predigt, die nicht bewegt, ist nicht einmal für die Katz! Eine gute Predigt ist eine Predigt, wo sie rausgehen und spüren, der hat mir jetzt gesagt, dass ich wichtig bin.

Rainer Schießler ist ein Leute-Priester im besten Sinn des Wortes: bei den Menschen, mit den Menschen, für die Menschen. Deshalb ist er Pfarrer geworden. Wann kommt er zur Ruhe, frage ich mich und ihn, und er nennt das tägliche Gebet  des katholischen Priesters, das jedem angeraten ist.

Es ist für mich wie ein Haltegerüst, das du auch in die Hand nehmen musst, wenn du stockmüde bist. Für mich ist es kein Runterbeten, auch keine Pflichterfüllung, sondern einfach eine ganz besondere Art der Kommunikation mit Gott, so wie ein Ehemann zu seiner Frau mehrfach am Tag sagt,  wie sehr er sie schätzt.

 Kommunikation mit Gott – diesen Gedanken vertiefen wir in unserem Gespräch. Kommunikation – das heißt nicht, permanent zu reden.

Es gibt die stumme Sprache mit Gott zu beten. Die schönste Form des Betens ist das Staunen. Ich kann ohne Gott nicht sein. Und wenn er sowieso bei mir ist, dann kann ich auch nicht ohne Kommunikation mit ihm sein.

„Den Epilog schreibt Gott selbst!“

Ich spreche mit Rainer Schießler, einem der bekanntesten Pfarrer Deutschland, wie es im Klappentext seines Bestsellers heißt. Der Titel „Himmel, Herrgott, Sakrament“ umreißt die Arbeit des 56-jährigen Priesters. Und eine eigene Talkshow hat e rauch. „Pfarrer Schießler – Gäste und Geschichten“, so lautet die Sendung im Bayrischen Fernsehen. Er möchte, dass seine Kirche in der Verkündigung auch unkonventionelle Wege geht – und hat nur einen Wunsch:

Hab den Menschen im Blick. Vertrau auf seine Fähigkeiten, vertrau auf seine Bedürfnisse, vertrau auf seine Ehrlichkeit, auf seine Offenheit, häng dein Tun nicht an Prinzipien, Vorschriften und Paragraphen, sondern konzentrier dich nur diesen Menschen,  dass wir jeden Katechismusabsatz und jeden Kirchenrechtsartikel abklopfen: dient er den Menschen? Kann er dem einzigen Maßstab eines Jesus von Nazareth, nämlich der Liebe, bestehen, oder nicht. Wenn nicht – sofort was ändern. Gnadenlose Offenheit, schonungsloses Hinwenden zum Menschen.

Die Menschenfreundlichkeit Gottes – die hat Pfarrer Schießler im Blick bei allem, was er tut. Das führt zu einem kritischen Blick auch auf die eigene Kirche. Wie wird die Kirche von morgen sein?

Ich weiß, diese Kirche wird da sein, und zwar ganz anders. Das Einzige, was mir stinkt, ist, dass ich vielleicht nicht mehr da bin. Aber ich weiß, diese Kirche wird sich radikal ändern. Und wir sind schon mitten drin im Veränderungsprozess. (…) Diese Kirche wird eine unglaubliche Öffnung hinlegen.

Ein Pfarrer ist oft mit dem Leid und Tod anderer Menschen konfrontiert. Schwieriger wird das, wenn man den eigenen Tod bedenkt. Nicht so bei Pfarrer Schießler.

Ich schließe mich dass Romano Guardini an, der gesagt hat: Wir werden vor Gott stehen, und das wird auch viele unangenehme Fragen geben, da werden wir – wie man in Bayern sagt – zu Wasser gelassen. Da kriegen wir die Hosen ausgezogen. Das ist kein Problem. Ich habe auch Fragen. Das Gericht ist der Epilog, der wird ganz am Schluss geschrieben. Das kann ich nicht mehr selber schreiben. Den schreibe ich mit Gott zusammen. Da geht es um Vollendung.

Derzeit feiert München die Wiesn, und Pfarrer Schießler opfert seinen Jahresurlaub, um dort als Kellner zu arbeiten. Mitten im Leben, nahe am Menschen – näher als im Bierzelt geht es eigentlich nicht. Das verdiente Geld und das Trinkgeld spendet er für soziale Projekte. Morgen ist letzter Wiesn-Tag, und er freut sich schon auf die Wiesn 2017:

Nach der Wiesn hast du zwei Wochen Pause, da kannst du das Wort Wiesn nicht hören. Du freust dich über das viele Geld, das du verdient hast, das bringst du stolz zur Bank, aber spätestens Ende Oktober fängst du schon wieder an, die nächste Wiesn mit dir rum zu tragen. Spätestens ab Januar fängst du an, die Tage rückwärts zu zählen.

(Rainer M. Schießler, Himmel, Hergott, Sakrament, Auftreten statt austreten, Kösel, München 2016)

https://www.kirche-im-swr.de/?m=22884
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