SWR4 Sonntagsgedanken

SWR4 Sonntagsgedanken

Auf eine neue Übersetzung des „Vaterunser“ bin ich aufmerksam geworden, die mich begeistert. Noch klarer am Geist Jesu orientiert, hat sie etwas Befreiendes an sich. Die Übersetzung stammt von Peter Jentzmik - Dozent für die hebräische Sprache - und lautet: 

Vater unser
in den Himmeln,
geheiligt werde Dein Name;
Deine Herrlichkeit komme,
Dein Heilswille geschehe
auf Erden, wie schon in den Himmeln.

Gib uns heute die uns verheißene Speise
und vergib uns unsere Schuld,
wie auch wir vergeben denen,
die an uns schuldig geworden sind;

und lass uns nicht in die Fänge der Versuchung geraten,
sondern befreie uns von dem Bösen.

Vor allem zwei Stellen beschäftigen mich, die sich vom altbekannten Vaterunser unterscheiden. Bei der einen geht es um den „Heilswillen Gottes“. Die andere ist die Sache mit der „Versuchung“. Im ersten Teil der Sonntagsgedanken möchte ich über den „Willen Gottes“ nachdenken, im zweiten Teil über die „Versuchung“. 

1. Was will Gott von uns? 

Ich frage mich: Was will Gott? Was will er von uns? Wenn ich nur daran denke, wie viel Schindluder mit dem so genannten „Willen Gottes“ schon getrieben wurde. Kirche und Staat haben in der Vergangenheit immer wieder Gehorsam eingefordert, um Macht auszuüben, um Menschen kleinzuhalten. Verhängnisvoll wurde es, wenn solche Forderungen damit begründet wurden, dass darin der „Wille Gottes“ zum Ausdruck komme. 

In der Bibel entdecke ich eine ganz andere Spur. Den „Zehn Geboten“ steht voran: „Ich bin der Herr, dein Gott, der dich aus der Sklaverei befreit hat.“ Darunter verstehe ich: Es ist Gott, der uns gut will, der unsere Freiheit will, der will, dass unser Leben gelingt. Das heißt für mich weiter: Wenn Gott so wohl-wollend zu mir steht, dann werde ich mich im Vertrauen auf ihn um ein menschenwürdiges Leben, um ein gutes Zusammenleben bemühen. (Exodus 20,1-17; Deuteronomium 5,6-22) 

So halte ich die Übersetzung für treffend: „Dein Heilswille geschehe.“ Das ist etwas ganz anderes als das, was allzu oft mit einem missverstandenen „Allmachts-Begriff“ für Gott in Verbindung gebracht wird. 

Mit der Vorstellung, Gott ist allmächtig, verbindet man den Gedanken: Gott kann alles machen, alles möglich machen oder alles verhindern - wenn er nur will. Diese Vorstellung hat für mich etwas Beliebiges, Willkürliches und damit auch Bedrohliches an sich. Wenn ich mir so die Allmacht Gottes vorstelle – dann muss sich Gott die Frage gefallen lassen: Warum lässt du dann all das Leid zu? 

An Gottes Macht gibt es für die Bibel nicht den geringsten Zweifel. Aber was ist das für eine Macht? Gottes Macht im Sinne der Bibel besteht in seiner Zuneigung und Treue, in seiner Freundschaft und Liebe, von der uns nichts und niemand trennen kann, was auch immer passiert (Römer 8,31-39). Er ist Gott, der uns erhält, auch in all dem, was im Leben zwiespältig und widersprüchlich erscheint, unbegreiflich oder sinnlos. Die göttliche Macht trägt, bewahrt und erhält – das ist Ausdruck von Gottes „Heilswillen“, um den wir bitten, dass er geschehe.

 2. Das mit der Versuchung 

Im zweiten Teil der Sonntagsgedanken geht es um die Bitte im Vaterunser: „Und führe uns nicht in Versuchung“ – das ist die gängige Formulierung. Nehme ich das wörtlich – dann muss ich allerdings damit rechnen: Gott könnte es einfallen, mich in Versuchung zu führen, mir Fallen zu stellen. Dieser Gedanke ist für mich schon lange unerträglich. Einem solchen Gedanken stehen andere Stellen in der Bibel entgegen. Im Jakobusbrief zum Beispiel heißt es: 

„Keiner, der in Versuchung gerät, soll sagen: Ich werde von Gott in Versuchung geführt. Gott führt niemanden in Versuchung“ (1,13). Dass Gott in Versuchung führt, das passt auch nicht zu dem Bild, das Jesus von Gott hat. Für ihn ist Gott der bedingungslos liebende Vater. Ihm darf ich voll und ganz vertrauen. Ich könnte doch kein Vertrauen zu Gott haben, wenn zugleich mein Misstrauen mitschwingt, er könnte sich vielleicht doch nicht an seine Treue zu uns halten. 

Entsprechend lautet die neue Übersetzung: „Und lass uns nicht in die Fänge der Versuchung geraten!“ Es ist eigentlich nicht zu verstehen, warum in den christlichen Gottesdiensten immer noch Sonntag für Sonntag wiederholt wird: „Und führe uns nicht in Versuchung!“ 

Bei dieser Art von Versuchung geht es eben nicht um den Zigarettenautomaten an der Ecke, nicht um die schöne Nachbarin und nicht um die Versuchung, eitel oder faul zu sein. Bei der Bitte „lass uns nicht in die Fänge der Versuchung geraten“ geht es um die Versuchung, die Menschen „gefangen“ nimmt. Diese „Fänge“ sind seit der Antike Ehre Macht und Reichtum. Sie können den Menschen so sehr gefügig machen, dass er meint, Gott nicht mehr nötig zu haben. Es handelt sich im Sinne Jesu daher um die Bitte, nicht das Vertrauen in Gott zu verlieren. 

Genau darum geht es auch bei den Versuchungen, in die Jesus selbst geraten ist (Matthäus 4,1-11). Jesus hat sich in der Wüste aufgehalten und gefastet. In der Einsamkeit, vielleicht auch in einer inneren Krise, wollte er sich seiner Sendung, seines eigenen Weges klarwerden. In dieser extremen Situation ist er in Versuchung geführt worden. 

Die erste Versuchung: Jesus hat Hunger. Als „Sohn Gottes“ kann er doch jederzeit aus Steinen Brot zaubern. Doch Jesus widersteht diesem Ansinnen. Er zieht Kraft aus Gottes Wort und hat keinen magischen Schabernack nötig.

Die zweite Versuchung: Dass Jesus sich als der „Sohn Gottes“, von Engeln getragen, vom Tempel in Jerusalem fallen lassen solle, ohne dabei zu Tode zu stürzen. Solch ein Spektakel widert Jesus an. 

Die dritte Versuchung: Jesus soll nicht nur vom Reich Gottes predigen. Der Teufel bietet ihm die Weltherrschaft an, wenn er nur ihn anbetet. Jesus reagiert schroff: „Weg mit dir, Satan!“ 

Jesus hat all diesen Versuchungen widerstanden. Das heißt für mich: Jesus bleibt in seinem Gottvertrauen standhaft. Er lehnt kalte Macht ebenso ab wie Luxus und Pomp. Dies ist auch ein Appell an die Seinen – damals wie heute - sich nicht blenden, sich nicht irreführen zu lassen. Was mich aus der Gefangenschaft von Zwängen und Ängsten befreit, geschieht nicht durch magischen Schabernack, sondern durch Gottes Wort, das heilt, aufrichtet und tröstet. Darauf soll ich hören. Darauf soll ich vertrauen.
Ich wünsche Ihnen einen schönen Sonntag. 

Quelle: Michael Broch, Peter Jentzmik, Das Vaterunser – neu buchstabiert, Glaukos Verlag Limburg, ISBN 978-3-930428-39-7

https://www.kirche-im-swr.de/?m=21843
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