SWR4 Sonntagsgedanken

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Als Kinder haben wir am Ostermorgen Eier im Garten suchen dürfen. Der Osterhase habe sie versteckt, wurde uns gesagt. Irgendwann habe ich mich gefragt: Was hat ein Hase mit Eiern zu tun, die doch die Hühner legen? Kinder fragen und Erwachsene wissen manchmal eine Antwort. Damals hat mir niemand so geantwortet, dass ich zufrieden gewesen wäre.

Später habe ich dann selber nachgeforscht und eine schöne Antwort gefunden: Der Hase und die Eier sind zwei verschiedene Symbole für neues Leben, für Auferstehung. Das Ei ist ein Symbol der Fruchtbarkeit. Natürlich! Wenn das Huhn es ausbebrütet hat, kommt ein Küken hervor: neues Leben! Und der Hase? Er hat keine Augenlider. Deshalb hat man früher gemeint, er würde nie schlafen, er sei immer wach. Auch ein Zeichen für Leben!

Das ist es, was wir Christen an Ostern feiern: das Leben – und zwar das Leben im Angesicht des Todes. Ich hab das bei meiner ersten Beerdigung vor fast 50 Jahren intensiv gespürt. Der Verstorbene, den ich in einem Stuttgarter Vorort beerdigen musste, ist genauso alt gewesen wie ich: 27 Jahre. Bei einem Autounfall dort, wo die B 27 unter der A 8 durchführt, ist er ums Leben gekommen. Im Trauergespräch habe ich Folgendes erfahren: Als jugendlicher Waise ist er auf Abwege geraten und im Erziehungsheim gelandet. Eine Frau, die die Autowerkstatt ihres verstorbenen Mannes weiterführte, bot ihm Arbeit an. Trotz der eigenen Trauer um ihren Mann sah sie in den Augen des Jugendlichen eine Sehnsucht.

Eines Tages hat sie zu ihm gesagt – zum Entsetzen ihrer Verwandten, wie sie mir gestand: „Ich nehme dich in meine Familie auf, wenn du willst.“ Sie hatte einen gleichaltrigen Sohn; und der junge Mann hat sich durch die Liebe seiner Pflegemutter aus einem schwer erziehbaren Jugendlichen in einen liebenswürdigen und hilfsbereiten Menschen verwandelt. Er sagte einmal zu ihr: „Zum ersten Mal in meinem Leben durfte ich zu jemand ‚Mama‘ sagen.“ Ein paar Jahre später ist er in eine eigene Wohnung gezogen. Binnen kurzer Zeit war er von seinen Nachbarn geachtet und geschätzt, weil er überall ein nettes Wort übrig hatte und half, wo er konnte. Kurz danach geschah der Unfall.

Ich habe an seinem Sarg gespürt: jetzt spricht er mich an, er ermutigt mich und die vielen Menschen, die bei seiner Beerdigung da waren. Wir alle haben aus seinem Tod Kraft für unser Leben gespürt. Das ist für mich Ostern: Die Liebe einer Mutter hat aus dem verlorenen Sohn einen liebenswerten Menschen geformt.

Teil 2

Ich spreche heute am Ostermontag über die Kraft des Lebens im Angesicht des Todes. Aber es hört sich wie Hohn an, wenn ich an Ostern von neuem Leben spreche und dann an den Nahen und Mittleren Osten denke: an die vielen Menschen, die dort in der letzten Zeit umgekommen sind oder an die, die auf einer abenteuerlichen Flucht sind und um ihr Leben bangen. Außerdem: So viele Waffen werden in unserer Welt produziert, die so vielen Menschen den Tod bringen. Leid über Leid!

Dieses Problem hat auch die beiden Jünger Jesu umgetrieben, von denen Lukas in seinem Evangelium berichtet. Es wird heute in der katholischen Kirche vorgelesen. Enttäuscht und mutlos gehen die Zwei nach dem Tod Jesu von Jerusalem weg in ihr Heimatdorf Emmaus, etwa zwei Stunden Wegzeit. All ihre Hoffnung auf ein besseres Leben, auf ein Ende der Besatzung durch die Römer, auf ein Leben in Freiheit ist zerstört. Wieso musste Jesus am Kreuz sterben? Das will nicht in ihren Kopf.

Nun erzählt der Evangelist Lukas, wie ein Wanderer sich zu ihnen gesellt und mit ihnen über ihr Problem spricht. Während des Gesprächs spüren sie, dass sich in ihnen etwas bewegt. Ihr Schmerz möchte sich lösen, aber noch geht es nicht. Dann sitzt der Wanderer mit ihnen zu Tisch und bricht das Brot. Da gehen ihnen die Augen auf und sie erkennen Jesus, er aber entschwindet ihrem Blick.

Es geht in dieser Geschichte um ein doppeltes Sehen: das Sehen der Augen und das Sehen des Herzens. Die Augen sehen das Scheitern Jesu am Kreuz. Das Herz spürt: es gibt eine Kraft, die stärker ist als der Tod, nämlich die Liebe. Sie stirbt nicht. Deshalb sagt Lukas: das Herz der Jünger brennt.

Das will Ostern, dass unser Herz zu brennen beginnt. Dann greift die Osterbotschaft. Solange ich sage: „Ach, da kann ich ja eh nichts machen. Die Welt ist halt, wie sie ist!“ hab ich noch nichts verstanden. Dann brennt auch mein Herz nicht. Wenn mich aber die Not anderer nicht gleichgültig lässt, wenn ich mein Herz öffne, dann wird Leben mitten im Tod spürbar. Dann schotte ich mich nicht vor Flüchtlingen ab, weil ich um mein Eigenes fürchte. Ich trinke mit den Syrern oder Irakern einen Kaffee und poliere meine Englischkenntnisse auf. Ich lerne ein paar Worte arabisch und merke, wie ein Lächeln das Gesicht des Fremden verändert. Das Schöne daran: Begegnung vertreibt die Angst. Das ist Ostern! Dann kann ich mich an Ostern freuen und singen.

Wenn Christen an Ostern Halleluja singen, machen sie nicht die Augen zu vor dem Leid, das ihnen begegnet. Sie finden durch ihr Singen neuen Mut. Sie müssen angesichts der Not in unserer Welt nicht verzweifeln. Sie gehen  kleine Schritte der Hoffnung, und die wünsche ich uns allen.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=21682
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