Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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Warum fällt es manchen so schwer, glücklich zu sein? Auf diese Frage hat mir ein Mönch vor vielen Jahren einmal folgendes geantwortet: „Der Mensch ist so auf die Zukunft fixiert, dass er die Gegenwart nicht genießen kann. Das Ergebnis ist, dass er weder die Zukunft noch die Gegenwart lebt. Er lebt so, als würde er niemals sterben und stirbt so, als hätte er niemals gelebt.“ Das hört sich zwar krass an, aber der Mönch hat Recht.
Das Glück wird von vielen kaum in der Gegenwart gesehen, sondern oft nur in der guten, alten Zeit oder in der Zukunft. „Glück ist kein Ziel, sondern eine Art des Reisens“ sagt ein Sprichwort. Das heißt doch, es lohnt sich, den Augenblick stärker wahrzunehmen, das Hier und Jetzt zu genießen.
In den letzten Wochen habe ich ein Experiment gemacht und mir dieses Sprichwort jeden Tag mehrmals in Erinnerung gerufen: „Glück ist kein Ziel, sondern eine Art des Reisens.“ Und tatsächlich meine Wahrnehmung ist anders geworden: Ich nehme bewusster wahr, wie sich das Wetter und die Natur verändern. Ich kann mir Gesichter und Namen besser merken, weil ich aufmerksamer die Menschen beobachte, die mir in meiner Arbeit begegnen. Ich freue mich noch intensiver über einen Museumsbesuch oder ein Konzert. Dieser täglich wiederholte Satz hat mir geholfen, gegenwärtiger zu sein. Jeden Tag, jede Stunde, jede Minute, ja jeden Augenblick als eine Etappe auf meiner Lebensreise zu begreifen, als einzige wirkliche Realität.
Es ist für mich faszinierend zu beobachten, wie das gebetsmühlenhafte Wiederholen dieses Satzes in mir mehr und mehr Gelassenheit auslöst. Niemand kann mir diese Augenblicke nehmen. Irgendwie scheint mein Blutdruck auf nervige Situationen weniger zu reagieren. Wenn ich das Problem nicht sofort lösen kann, wird es schon einen Grund haben und der richtige Zeitpunkt kommt eben erst noch. Der schönste Effekt ist aber, ich habe das Gefühl zufriedener mit mir selbst und meinem Leben zu sein. Ich glaube das spüren auch meine Mitmenschen im Umgang mit mir. Kürzlich sagte einer: „Dich bringt auch gar nichts mehr aus der Ruhe, Dir scheint es gut zu gehen“.
Ich erwarte nicht mehr das große Glück in der Zukunft, sondern mein Glück ereignet sich hier und jetzt.

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